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Noch eine Frage bitte, Wilfried Köpke

In "Und täglich grüßt die Tagesschau" zeigen Autor:innen aus Wissenschaft und Praxis die kommunikationswissenschaftliche, kultursoziologische und gesellschaftliche Relevanz der Tagesschau auf.

Seit mehr als 70 Jahren wird die Tagesschau in die deutschen Wohnzimmer ausgestrahlt. Welche Bedeutung hatte sie in den Anfängen, also in den 1950er-Jahren, für die Zuschauerinnen und Zuschauer?

Gerade in den Anfangsjahren war die braune Gesinnung noch in vielen Köpfen und die Tagesschau schien eine Verlängerung der NS-Propaganda-Wochenschau. Selbst der Sprecherduktus mit rollendem „R“ war derselbe. Joan Bleicher nennt die Tagesschau und ihr Studio in dieser Zeit einen „heiligen Ort der täglichen Sinnstiftung“.
Bis in die 1990er-Jahre blieb deshalb die Sendezeit von 20:00 bis 20:15 Uhr eine heilige Zeit, in der man nicht anrief, nach der erst alle Abendprogramme im Fernsehen begannen – auch bei den Wettbewerbern zum Ersten. Und wenn der Sprecher nicht als Priester angesehen wurde, so doch als Sprachrohr der konservativen Adenauer-Regierung.
Noch Anfang der 1990er-Jahre versuchte SAT.1 gegen den Stachel zu löcken und startete um 20:00 Uhr mit seinem Abendprogramm; das ließ man rasch wieder blieben, weil die Quoten sanken. 20:00 Uhr ist in die bundesdeutsche Mediennutzungs-DNA eingeprägt. Das wird sich in den nächsten Jahren verlieren, weil die Altersgruppe der 14- bis 29-jährigen Zuschauer:innen und auch immer mehr ältere die lineare Fernsehausstrahlung nicht mehr nutzen.

Die Tagesschau hatte im Laufe der Zeit viele Gesichter. Wie hat sich die Rolle der Sprecherinnen und Sprecher gewandelt?

Waren die Sprecher bis zu Karl-Heinz Köpcke noch Gesichter einer quasi amtlichen Wahrheit, so hat sich das sehr verloren. Sprecher:innen sind in der Mediengesellschaft Promis geworden, die den Bekanntheitsgrad der Tagesschau nutzen für lukrative Auftritte von Autohauseröffnungen bis Imagefilme für Darmspiegelungen. Das kann, siehe Eva Herman und Susan Stahnke, auch mal schiefgehen. Die wenigsten Sprecher:innen haben Influencer:in-Qualitäten, deshalb wird das Image verblassen. Die Tagesschau-Ausgabe auf YouTube war ein Flop.
Die Tagesschau war immer ein Zeitgeist-Produkt. Die Sprecher waren Krawattenmänner des Jahres, Anzugträger des Jahres, die sexistische Haltung Sprecher:innen gegenüber ist hinreichend belegt wie eine postkoloniale Afrika-Betrachtungsweise. Das spiegelt sich auch in den Sprecher:innen wieder.

Heute ist die Tagesschau jederzeit als App und als Stream verfügbar und einzelne Beiträge finden sich auf den Social-Media-Kanälen von TikTok, über Instagram und Facebook bis YouTube. Verliert sich damit ihr gesellschaftlicher Anspruch oder weitet er sich?

Die Beiträge der Redaktion auf TikTok und Instagram sind erfolgreich, haben aber mit dem 15-Minuten-Produkt wenig zutun, weil sie nur jeweils ein Thema liefern, der nachrichtliche Beifang für User:innen bei Themen, die sie nicht direkt  interessieren, die sie als Zuschauer:innen der 15‘-Sendung aber mitbekommen, findet nicht mehr statt. Der Anspruch der Tagesschau ist zu informieren. Dem wird sie weiter nachkommen. Ihr Einfluss schwindet.

Weitere Informationen zum Buch Und täglich grüßt die Tagesschau. Vom linearen zum digitalen Nachrichtenformat, herausgegeben von Wildried Köpke und Ulrike Brenning erhalten Sie hier.