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“Um seine Meinung frei äußern zu können, muss man sie sich zuerst frei bilden können.”

Vortrag von Hermann von Engelbrechten-Ilow
Hermann von Engelbrechten-Ilow ist nicht nur zugelassener Rechtsanwalt, sondern war zeitweise auch journalistisch tätig. Es verwundert also nicht, dass er sich erstens mit den aktuellen Problemen des Journalismus beschäftigt und dies zweitens aus der Perspektive des Juristen tut. So auch in seinem kürzlich erschienenen Buch Was läuft da schief im Journalismus? Warum es mit den Medien bergab geht und wie man ihnen aufhelfen kann, über das er im Rahmen der Kölner Mediengespräche mit Verleger Herbert von Halem sprach.
 
Wie kann der Journalismus seine vorgesehene Kontrollfunktion erfüllen, wenn zugleich seine wirtschaftliche Grundlage nicht gewährleistet ist? Diese Frage beschäftigt Hermann von Engelbrechten-Ilow seit Langem.
 
Herbert von Halem begrüßt die Gäste der Kölner Mediengespräche
Privatwirtschaftlicher Journalismus finanziert sich aus zwei Märkten, erklärte Engelbrechten-Ilow: dem Kundenmarkt (also dem Erwerb von journalistischen Produkten durch die Mediennutzer) und dem Werbemarkt (also bezahlter Werbung durch Anzeigenkunden). Die Betrachtung der Werbeeinnahmen zeigt, dass diese für den Printbereich mit der Zeit drastisch gesunken sind. Bei den digitalen Werbeeinnahmen sei hingegen deutlicher Zuwachs zu beobachten. Wer allerdings glaubt, der Werbemarkt habe sich einfach mehr ins Digitale verlagert und am Ende kämen die gleichen Einnahmen bei den Medienhäusern an, liege falsch. Denn ein großer Teil der digitalen Werbeeinnahmen ginge nicht an die Medienmacher, sondern an die großen Plattformen wie Facebook, X (vormals Twitter) und andere, auf denen die Werbung größtenteils geschaltet wird. Aber nicht nur deshalb sieht Engelbrechten-Ilow die Social-Media-Plattformen als Teil der Probleme, mit denen der Journalismus derzeit kämpft.
 
Social-Media-Plattformen folgen der Logik der Aufmerksamkeitsökonomie. Um in diesem Umfeld “mithalten” und seine ins Digitale abgewanderten Zielgruppen noch erreichen zu können, muss der Journalismus schriller, aufregender und emotionaler werden – was mit seiner eigentlichen Rolle des distanzierten Berichterstatters kaum bis gar nicht vereinbar ist. Durch diese neuen Arbeitsbedingungen bleibt kaum Zeit, tiefergehende Artikel und Reportagen zu produzieren. Darunter leide die Qualität der Medien und damit auch das Vertrauen in sie.
 
Ein weiteres Problem ist nach Engelbrechten-Ilow, dass Politiker und insbesondere Regierungsmitglieder ihre Botschaften direkt in Social-Media-Kanälen verbreiten, ohne sich der Kontrolle und Kritik durch die Presse – beispielsweise in Interviews – stellen zu müssen. Friedrich Merz sagte einmal: “Sie können heute über Ihre eigenen Social-Media-Kanäle, über YouTube, Sie können ein Publikum erreichen, das teilweise die Öffentlich-Rechtlichen, auch die privaten institutionalisierten Medien nicht mehr erreichen. Wenn man das richtig nutzt, wenn man das gut macht, dann haben Sie über diese Kanäle eine Möglichkeit, Ihre eigenen Interessen wahrzunehmen, Ihre eigene Deutungshoheit auch zu behalten, über das, was Sie gesagt haben, in ganz anderer Form, als wir das früher gehabt haben.” Merz’ Äußerung scheint die Haltung der Politik zutreffend widerzuspiegeln, denn obwohl sich sowohl GroKo als auch Ampel im Koalitionsvertrag verpflichtet haben, der Notlage der Medien abzuhelfen, sei bisher nichts dergleichen geschehen. Angela Merkel habe – ganz im Sinne von Merz – in den späteren Jahren ihrer Kanzlerschaft kaum noch Interviews gegeben (2018 waren es z.B. nur noch 22). Dafür habe sie aber umso mehr ihre Social-Media-Auftritte durch Regierungssprecher Steffen Seibert pflegen lassen. Dies erschwere dem Journalismus nach Engelbrechten-Ilow seine Aufgabe. Merkels Nachfolger Olaf Scholz mache es in dieser Hinsicht besser als seine Vorgängerin: Er gab in seinem ersten Jahr als Kanzler immerhin 43 Interviews.
 
Blick vom Innenhof auf den Veranstaltungsraum der Kölner Mediengespräche.
Im Anschluss an seinen Vortrag diskutierte Hermann von Engelbrechten-Ilow mit Herbert von Halem Lösungsansätze, auf die er auch in seinem Buch eingeht. Im Kern gehe es um ein Finanzierungsproblem des Journalismus und in dessen Folge um einen Qualitäts- und damit Vertrauensverlust. Eine Idee, wie man dem entgegenwirken könne, sei beispielsweise die Verrechnung der Kosten von Medienabos mit dem Rundfunkbeitrag. Wer viele Zeitungsabos hat, würde dann einen geringeren Rundfunkbeitrag zahlen. Ein Nachteil dieses Modells sei aber, dass dadurch der öffentlich-rechtliche Rundfunk Geld verliere und seine eigenen Aufgaben schlechter erfüllen könne. Wahrscheinlich – so räumt Engelbrechten-Ilow ein – würde ein solches Modell nur zu einer Erhöhung des Rundfunkbeitrages führen. Ein anderer Lösungsansatz wäre, Medienabos von der Steuer absetzbar zu machen. Hierdurch würden die Abozahlen zwar wahrscheinlich steigen, aber zugleich würden auch enorme Steuersummen verloren gehen. Ähnlich verhält es sich mit dem letzten Lösungsansatz, den Engelbrechten-Ilow vorstellte: jedem Zeitungsabo einen Rabatt-Gutschein für das nächste Abo beizulegen und so den Bürger zu motivieren, in guten Journalismus zu investieren.
 
Letztlich sieht Engelbrechten-Ilow aber den Staat in der Pflicht, der Misere der Medien abzuhelfen. Schließlich habe das Bundesverfassungsgericht im “Spiegel-Urteil” von 1966 festgehalten, dass eine freie, regelmäßig erscheinende Presse für die moderne Demokratie unerlässlich sei. Oft werde der Vorwurf erhoben, man könne seine Meinung in Deutschland nicht mehr frei äußern. Darin liege ein wahrer Kern, wenn auch nicht in dem Sinne, in dem der Vorwurf gemeint ist. Denn, so Engelbrechten-Ilow: “Um seine Meinung frei äußern zu können, muss man sie sich zuerst frei bilden können.” Wirklich freie Meinungsbildung sei aber nur mit einem funktionierenden Journalismus möglich.