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Jost Vacano – Interview zum Thema Filmlicht

Jost Vacano ist ein deutscher Kameramann, der durch seine Arbeit für den Film Das Boot und für eine Reihe von niederländischen und US-amerikanischen Filmen des Regisseurs Paul Verhoeven international bekannt wurde.

Zusammenarbeit mit:

Peter Beauvais; Tony Bill; John Frankenheimer; Billy Graham; Rolf Hädrich; Eberhard Itzenplitz; Roland Klick; Wolfgang Petersen; Daniel Petrie; Peter Schamoni; Volker Schlöndorff; Duccio Tessari; Paul Verhoeven; Peter Zadek.

Wichtige Filme:

Schonzeit für Füchse; Supermarkt; Die verlorene Ehre der Katharina Blum; Lieb Vaterland, magst ruhig sein; The 21 Hours at Munich; Soldier of Orange; Spetters; Das Boot; Die wilden Fünfziger; Die unendliche Geschichte; 52 Pick-up; RoboCop; Rocket Gibraltar; Total Recall; Untamed Heart; Showgirls; Starship Troopers; Hollow Man.

Preise/Auszeichnungen:

Festival Prag; Kamerapreis für Mord in Frankfurt; Bundesfilmpreis in Gold für Die verlorene Ehre der Katharina Blum und Lieb Vaterland, magst ruhig sein; Bayerischer Filmpreis für Das Boot; Oscar Nominierung (Kamera) für Das Boot; Deutscher Kamerapreis 2001 (Ehrenpreis); Imago-Award 2002; Goldene Kamera 2007 für Das Boot; Marburger Kamerapreis 2010; Stern auf dem Boulevard der Stars in Berlin 2011.


Ich habe den Eindruck gewonnen, dass amerikanische Filme vom Licht her anders aussehen als deutsche Filme. Unsere Streifen wirken immer „clean“ und „sonnig“, soweit man das so vereinfacht sagen kann.

So allgemein lässt sich das nur schwer sagen. Ich, als deutscher Kameramann, mache seit fünf Jahren nur noch amerikanische Filme. Ich bin mir über diese Unterschiede nicht so recht im Klaren. Die Art, wie ich dort fotografiere, wird wohl als amerikanisch angesehen, denn RoboCop und Total Recall waren sehr erfolgreich. Ich glaube, es hat weniger mit dem Licht zu tun als vielmehr mit der Art, wie man Filme insgesamt angesiedelt hat. Die Filme, die ich 25 Jahre lang hier in Deutschland gedreht habe, unterlagen – ausgehend von einer finanziellen Begrenzung – auch immer einer räumlichen Begrenzung. Deutsche Fernsehfilme, die man so sieht, spielen immer in kleinen Wohnzimmern, kleinen Küchen und dem Flur dazwischen. Amerikanische Geschichten sind sehr viel weiträumiger, die Sets sind sehr viel größer. Man kann es sich leisten, großzügige Dekorationen zu bauen und große Originalräume auszuleuchten. Hier ist das Ausleuchten gar nicht im Budget mit drin.

Ich erinnere mich an  eine  Szene  aus  dem  Film RoboCop und  zwar  an die Szene in der großen Polizeiwache. Wäre das Motiv in einem hiesigen Film gewesen, sähe es darin sicher hell und sauber aus. Von der Perfektion der Lichtstimmung her hatte ich den Eindruck, dass diese Dekoration nicht ausgeleuchtet war.

Ich bin ein fanatischer Verfechter eines gewissen Realismus. Das ist sicher eine Eigenart meiner Lichtgestaltung. Dieser Realismus kann durchaus überhöht sein, aber der Zuschauer soll den Eindruck haben, er erlebe die Szene mit. Je realistischer und nachvollziehbarer es für den Zuschauer ist, umso besser finde ich es. Ich finde es nicht schön, wenn in jeder Einstellung die Sonne scheint und der 12-kW-Scheinwerfer durchs Fenster leuchtet und ein Fensterkreuz auf die Wand projiziert. Ich versuche immer, von einer realistischen Beleuchtung auszugehen, und liebe es ganz besonders, wenn die Beleuchtung in das Set integriert ist. Daher auch meine Vorliebe für Leuchtstoffröhren, denn eine Leuchtstoffröhre kann man im Bild haben, man braucht sie nicht zu verstecken. In diesem Polizeirevier gehörten die Leuchtstofflampen nicht nur zur Dekoration, sondern sie waren auch Bestandteil der Lichtgestaltung.

Wie war die Wache denn insgesamt ausgeleuchtet?

Das war kein Studio, sondern eine Originaldekoration, ein leerer Tanzsaal eines Restaurants. Der Architekt hat einen Teil der Säulen und die unterschiedlichen Ebenen hinzugefügt. Ich habe in diesem Raum eine Menge Leuchtstofflampen installieren lassen und zwar so, wie sie auch angeordnet gewesen wären, hätte es sich nicht um eine Filmdekoration gehandelt, sondern um ein reales Polizeirevier. Lichtquellen sind im „praktischen Leben“ immer den Plätzen zugeordnet, wo sie einen Sinn ergeben, zum Beispiel den Arbeitsplätzen oder auch vielfach den natürlichen Lichtquellen, beispielsweise über den Fenstern, wo sie gewissermaßen das Tageslicht verstärken oder es nachts simulieren.

Welche Scheinwerfer waren draußen vor den Fenstern platziert?

Draußen standen wahrscheinlich zwei 12-kW-Tageslichtlampen, um ein kontinuierliches Licht von außen zu haben. In Amerika ist der Drehtag oft länger als zwölf Stunden; man muss auch dann weiter drehen können, wenn es draußen schon dunkel ist.

Was bringen die beiden 12-kW-Scheinwerfer? Sind nur die Fenster hell oder ist eine gewisse Lichtstärke im Raum vorhanden?

Eine gewisse Lichtstärke ist vorhanden. Es hängt davon ab, wie die Fenster beschaffen sind, ob sie klar sind oder ob da Vorhänge oder Jalousien sind.

Sie wirkten matt und waren überstrahlt.

Ja, es wurde eine Milchglasfolie aufgeklebt. Man macht es, damit nicht zu erkennen ist, dass es draußen eventuell schon Nacht ist. Das Überstrahlen empfinde ich als ganz natürlich. Eine Beschränkung, dass es draußen nur eine Blende heller sein darf als innen, ist unsinnig. Wenn man in einem normalen Zimmer ist und die Augen haben sich an den Lichtlevel gewöhnt und man schaut dann aufs Fenster, dann kommt einem selbstverständlich das Fenster viel zu hell vor. Man kann diesen Effekt sehr gut einsetzen, um draußen Dinge unsichtbar zu machen.

Die Leuchtstoffröhre gibt doch ein sehr gleichmäßiges, langweiliges Licht ab. Außer in Küchen und Werkstätten, wo man möglichst schattenfreies Licht braucht, werden die Röhren im Wohnbereich nicht mehr eingesetzt, weil das Licht so stimmungslos ist. Worin liegt das Geheimnis, mit Leuchtstofflampen so stimmungsvolle Bilder auszuleuchten?

Es gibt kein Geheimnis, Licht ist Licht. Auch bei der Leuchtstofflampe nimmt das Licht im Quadrat zur Entfernung ab. Sowohl bei Leuchtstofflampen wie überhaupt bei indirektem Licht herrscht immer das große Missverständnis, dass die Leute meinen, man richtet alles Licht gegen die Decke und macht damit alles hell. Wenn ein indirektes Licht so geführt wird wie ein hartes Licht, macht es nicht den Eindruck, dass alles hell ist und das Licht alles zuschmiert. Würde man alles mit Röhren vollhängen, so wäre das sicher der Fall. Konzentriert man aber die Leuchtstoffröhren auf bestimmte Bereiche und lässt das Licht dazwischen abfallen, geht es wunderbar. Der große Vorteil ist, es sind Lampen, die man im Bild zeigen kann, weil sie sich in die Dekoration einfügen. Das ergibt eine sehr große Flexibilität, man braucht weniger umzubauen, weil man keine Lampen verstecken muss, die man nicht im Bild zeigen darf.

Bei Total Recall wurden einige Szenen mit mehreren Kameras gleichzeitig aufgenommen. Das Licht kommt diesen Einsatzbedingungen entgegen.

Ja, die Gagen der Stars betragen mehrere Millionen Dollar. Auf die Drehtage beziehungsweise Drehstunden umgerechnet ist das so viel Geld, dass der Zeitfaktor außerordentlich wichtig ist. Daher dreht man in Amerika oft mit mehreren Kameras gleichzeitig, um innerhalb der Drehzeit zu bleiben. Leuchtstoffröhren haben noch einen interessanten Effekt. Durch ihre langgezogene Form liefern sie in einer Richtung weiches Licht und in einer anderen hartes Licht. Beleuchtet man ein Gesicht mit einer waagerecht liegenden Leuchtstofflampe, dann umflutet das Licht das Gesicht. Auch die Seiten bekommen etwas ab. Drehen Sie die gleiche Röhre um 90° in die Senkrechte, wirkt sie wie eine harte, gerichtete Lichtquelle aufgrund ihrer nur geringen Breite. Bei RoboCop hatte die Hauptdarstellerin ein sehr rundes Gesicht, man muss da vorsichtig sein, denn hätte ich es mit weichem Licht beleuchtet, hätte es sehr flach und konturlos ausgesehen. Wenn aber die Atmosphäre sehr schön und weich ist, und man beleuchtet die Gesichter mit hartem Licht, weil der Ausdruck dann interessanter ist, passt das wiederum nicht zum Raum. Ich habe das Problem mit Leuchtstofflampen gelöst. Über dem Kopf habe ich eine Leuchtstofflampe in Längsrichtung anbringen lassen. Der Teil, der direkt über dem Kopf ist, liefert ein sehr steiles Licht, das andere Ende der Lampe, das weiter entfernt ist, ein sehr flaches Licht. Die Seiten der Gesichter waren durch die Schmalheit der Röhre gut moduliert.

Eine Leuchtstofflampe hat ja eine geringere Reichweite als beispielsweise ein Stufenlinsenscheinwerfer. Muss man die Röhre aufgrund der geringen Reichweite im Bild zeigen?

So kann man das nicht sagen, obwohl ein Stufenlinsenscheinwerfer natürlich auf eine größere Entfernung einsetzbar ist. Das Problem ist aber grundsätzlich. Steht ein Schauspieler in einer Entfernung von einem Meter zur Lampe und geht einen weiteren Meter weg, so fällt auf ihn nur noch ein Viertel des ursprünglichen Lichts – aufgrund der räumlichen Ausbreitung. Vergrößert sich ebenfalls um die gleiche Distanz von einem Meter die Entfernung von fünf auf sechs Meter, so ist die Lichtänderung fast unmerklich.

Setzen Sie normale Leuchtstoffröhren ein?

Nein, man muss sehr auf die Farben achten. In Amerika sind die Farben der Röhren anders, mit den hiesigen Erfahrungen kann man drüben nicht viel anfangen. Es gibt Leuchtstofflampen, die einen sehr hohen Lichtstrom im Verhältnis zur elektrischen Leistung abgeben. Sie werden beispielsweise in Fabriken und Werkhallen eingesetzt, haben aber leider nur ein ganz primitives Linienspektrum.1 Man kann sie dort einsetzen, wo die Farbwiedergabe nicht wichtig ist, zum Beispiel bei Straßenbeleuchtungen oder in Unterführungen. Es sind die Lampen, die blaugrün scheinen. Je kontinuierlicher das Linienspektrum ist, umso besser ist natürlich die Farbwiedergabe, aber umso geringer ist der Lichtstrom.

In RoboCop und Total Recall passt ja diese blaugrüne Lichtstimmung zum Inhalt. Wie würden Sie Leuchtstoffröhren in einem Film einsetzen, der sich nicht so weit von unserer Alltagswelt entfernt?

Ich würde etwas vorsichtiger mit den Lichtfarben sein. Man muss die Leuchtstoffröhren ja nicht im Bild zeigen. Dass man es kann, ist natürlich ein Vorteil. Leuchtstoffröhren lassen sich wunderbar verstecken: in einer Türfüllung oder in einer Fensternische, sie lassen sich auf einen Schrank legen oder hinter ein Sofa klemmen. Man kann sie an Plätzen anbringen, wo Scheinwerfer nur schlecht hinkommen.

Ich muss aber sagen, dass der Einsatz von Leuchtstoffröhren eine zwar neue und interessante, aber doch nur eine zusätzliche Möglichkeit der Lichtgestaltung ist. Die Grundlage einer Filmausleuchtung ist nach wie vor das Glüh- und HMI-Licht in allen seinen traditionellen und auch neuen Anwendungsformen. Gerade die Vielfalt der technischen Möglichkeiten ergibt die Freiheit in der kreativen Anwendung.

Bevorzugen Sie die Fotografie auf einem niedrigen Lichtniveau?

Das ist unterschiedlich, allerdings darf der Level nicht zu niedrig sein. Ich finde es nicht sehr gut, wenn aufgrund der geringen Tiefenschärfe der offenen Blende Teile des Bildes unscharf sind. Der Zuschauer hat ein Recht, alles zu sehen und alles zu erkennen. Auch fühlt er sich oft vergewaltigt, wenn er nicht dahin schauen kann, wohin er möchte, sondern nur dahin, wo es scharf ist. Man kann natürlich so argumentieren, dass es Absicht sei, die Geschichte so zu erzählen. Aber ich finde die Aufmerksamkeitslenkung durch die Inszenierung besser als die durch Unschärfen und Schärfen. Es gibt Kollegen, die ein niedriges Lichtniveau mit der Begründung, es wäre alles feiner abstimmbar, bevorzugen. Meiner Meinung nach resultiert das aus den physiologischen Möglichkeiten des Auges. Bei einem niedrigen Lichtlevel ist die Pupille des Betrachters sehr weit geöffnet. Wenn er nun in eine dunkle Schattenecke schaut, hat die Pupille nicht mehr viele Möglichkeiten, sich weiter zu öffnen. Der Kameramann, der so verfährt, kann besser die Kontraste abschätzen, da das Auge durch die geöffnete Pupille einen geringeren Kontrastumfang besitzt. Dies ist eine Arbeitserleichterung, da man so schneller ein Gefühl für die Kontrastverhältnisse bekommt. Der gleiche Effekt lässt sich aber auch mit dem „Grauglas“erreichen. Hält man es sich vors Auge, öffnet sich die Pupille und das Auge wird kontrastempfindlicher. Durch das Glas werden die Kontraste nicht verändert, sondern es ist nur ein Kunstgriff, um das Auge daran zu hindern, die Pupille ständig zu öffnen und zu schließen.

In alten Glamourfilmen waren die weiblichen Stars immer typisiert, ich will damit sagen, sie sahen in den verschiedensten Filmen immer ähnlich oder gleich aus.

Das hat einen egoistischen Grund. Die Stars hatten eine sehr große Erfahrung, sie wussten, wie sie in den unterschiedlichen Situationen ausgesehen haben. Sie wollten immer so aussehen, wie es ihrer Idealvorstellung von ihrem Gesicht am nächsten kam. Sie hatten ein fantastisches Gespür dafür, wie der Kameramann es gemacht hat. Im damaligen Starsystem hatten die Stars nicht nur ihre persönlichen Maskenbildner, sondern auch ihre persönlichen Kameraleute. Der Star konnte das bei der Produktion durchsetzen. Wenn immer der gleiche Kameramann das Licht setzt, dann kann es auch immer gleich aussehen. Auf der anderen Seite wurde diese Typisierung aber auch eingesetzt, damit das Publikum wegen diesem Star, seinem Liebling, ins Kino ging. Er sollte ja auch immer sein Star bleiben. Er darf sich zwar der Rolle anpassen, aber nicht so, dass man ihn nicht wiedererkennt. Marlene Dietrich ist da ein Musterbeispiel, sie ist immer mit einem steilen Licht beleuchtet worden, das man sonst so gar nicht einsetzt, aber bei ihr betonte es die hohen Wangenknochen und sah gut aus.

Setzt man heute diese Typisierung auch ein?

Nicht in diesem Maße. Es gibt auch nicht mehr diese Stars.

Haben Sie Arnold Schwarzenegger in Total Recall typisiert?

Er ist natürlich auch typisiert, die ausgeprägten Wangenknochen, das etwas brutale Gesicht – das übrigens nicht zu seinem Charakter passt. Ich habe ihn über lange Strecken in Total Recall gegen diese Typisierung beleuchtet, um ihn zu einer normalen Figur werden zu lassen, die normal lebt und dann Probleme mit ihrer Umwelt bekommt. Zum Schluss, wenn das Alter Ego aus ihm herausbricht, habe ich ihn auf die Weise fotografiert, wie man gewohnt ist, ihn zu sehen.

Wie haben Sie da das Licht gesetzt?

Jede Typisierung ist immer eine Verdeutlichung von Gesichtszügen, unter Umständen auch eine Übertreibung bestimmter Eigenheiten eines Gesichts. Diese Charakterzüge werden nur unter einem bestimmten Licht deutlich sichtbar. Bei Frauen ist das oft ein Frontallicht, bei Arnold Schwarzenegger ist das ein dreiviertel Seitenlicht.

Wird das auch durch den Wechsel von weichem zu hartem Licht erreicht?

Ja, das natürlich auch. Überdeutliche Strukturen eines Gesichts bekommt man nur mit hartem Licht. Eine kleine Erhebung wirft einen deutlichen Schatten. Weiches Licht egalisiert mehr.

In RoboCop hatte dieser Cop fast immer einen blauen Reflex. Dies sollte sicher das metallische Aussehen unterstützen?

Genau, die Kostüme sind meistens aus Gummi. Durch kaltes Licht lässt man sie dann stahlartig wirken. Dieser Brustpanzer stellt ja gewissermaßen den Ausschnitt einer Kugel da. Die Oberfläche einer glänzenden Kugel wirkt wie ein Verkleinerungsspiegel. Leuchtet man nun mit einer Lampe darauf, wird die relativ kleine Fläche zu einem Punkt. Man muss eine große Lichtfläche darin spiegeln lassen, damit man nicht den Eindruck hat, eine Lampe spiegele sich darin, sondern es leuchte von sich aus metallisch. Dies waren sehr oft lange, blaue Leuchtstoffröhren.

Ist es nicht schwieriger, in einer Dekoration, die noch gebaut wird, das Licht von vornherein zu planen und bauen zu lassen, als eine vorhandene Originaldekoration auszuleuchten?

Das Schwierigste beim Licht ist immer die Konzeption. Man muss die Konzeption zu einem Zeitpunkt entwickeln, in dem man wahrscheinlich noch nicht in der Dekoration ist. Vielleicht in der Nacht davor, weil einen das Problem nicht schlafen lässt oder die Ausstattung fragt, wo man die Lampen hinhaben möchte. Es sind dann Dinge fixiert, die man nachträglich nicht mehr ändern kann – es muss von vornherein stimmen.

In Total Recall gibt es eine Szene, die in einem riesigen Reaktor zwischen großen Röhren spielt. Die Röhren kommen von der Decke und verschwinden in Öffnungen im Fußboden. Durch diese Öffnungen dringt auch das Licht.

Die erste Frage, die ich mir da gestellt habe, war nicht: Wie beleuchte ich das? Sondern: Wo kommt das Licht her? Auf einer Zeichnung vom Architekten sah das wunderbar aus. Dieser Reaktor ist vor Millionen von Jahren im Innern eines Berges gebaut worden, es gibt keine Lampen, die man einfach anschalten kann. Unter dem Fußboden und diesen scheinbar endlos langen Stangen liegt ein riesiger Eisgletscher. Im Verlauf der Geschichte wird der Reaktor in Betrieb gesetzt und die Stangen fahren herunter auf das Eis. Es kommt zu einer Reaktion, Wasserstoff und Sauerstoff entstehen und es bildet sich eine Atmosphäre auf dem Mars. Ich bin nach langem Überlegen von dem Eis ausgegangen. Eis sieht dann am besten aus, wenn es von innen heraus leuchtet. So leuchtet auch der riesige Gletscher. Dieses bläuliche, diffuse Licht dringt dann durch den Spalt zwischen Stange und Fußboden. Die nächste Frage war: Wie stellt man so was her? Die Röhren stehen ja auf dem Studioboden, da kann nichts mehr durchkommen. Wir haben deswegen den Spielboden einen Meter höher gelegt und für die Stangen kreisförmige Löcher ausgeschnitten. Die Überlegung war: Das Licht, das hochscheint, ist von einer weit entfernten, riesigen Eisfläche. Praktisch ist aber nur ein Meter vorhanden. Wenn man da lauter Lämpchen reinstellt, Inkys oder Halb-kWs, würde man auf die kurze Distanz lauter Lichtflecken sehen, aus denen man zurückverfolgen kann, dass dort unten viele kleine Lampen stehen. Das Geheimnisvolle wäre weg, und es bliebe nur noch ein lächerlicher Effekt. Wenn das Licht von weither kommt, ist es unten genauso hell wie oben. Wir haben um die Röhren Leuchtstofflampen gelegt und haben so den gewünschten Effekt erreicht, dass man nicht den Eindruck hat, das Licht setze gerade unten an der Röhre an. Dies ist jedes Mal ein langer Prozess. Am Anfang steht immer die Frage: Wie sieht es da überhaupt aus?

Dieses Licht reichte aber wahrscheinlich für die Szene noch nicht aus?

Richtig, es reichte noch nicht aus. Wenn man das Gefühl vermitteln will, woher das Licht kommt, dann muss da, wo es herkommen soll, die hellste Stelle im Bild sein. Darum wurde von oben noch sehr viel weiches Licht eingebracht, das keine zusätzlichen Schatten verursachte. Man ist von der Technik abhängig. Hätte ich mehr Platz unter dem Boden gehabt, wäre dieser Effekt noch besser gewesen, aber leider ging es nicht.

Auf den Säulen kamen dann noch Reflexe hinzu?

Ja, diese Rohre waren blaugrün-glänzend gestrichen und wirkten metallisch. Metall wirkt dadurch metallisch, dass es glänzt, im Gegensatz zu Steinwänden. Hinter den Säulen habe ich Batterien von Leuchtstofflampen versteckt, die die Reflexe und auch die Tiefe verursacht haben.

Auf dem Mars herrschte eine rote Atmosphäre. Dieses rote Licht fand sich in fast allen Einstellungen wieder, auch in den Innenräumen. Wie haben Sie das technisch gelöst?

Auf dem Mars ist die Atmosphäre tatsächlich rot. Dieses rote Licht dringt auch durch die Glasdome der Stadt ein und beleuchtet alles rot. Für die Innenräume war das einfach zu lösen, indem das Licht rot gefiltert wurde. Bei den Außenaufnahmen war das schwieriger, denn da mussten auch die Schatten rot sein. Hier auf der Erde sind sie aber blau, da die Schatten ja nur durch das blaue Himmelslicht beleuchtet werden. Um den roten Effekt zu erreichen, habe ich das „Lightflexsystem“ benutzt. Dieses System ermöglicht eine farbige Vorbelichtung der Schatten. Vor der Kamera befindet sich in einem Gehäuse in einem Winkel von 45° eine Glasscheibe, die wie ein teildurchlässiger Spiegel wirkt. Über dieses Gehäuse wird rotes Licht eingespiegelt und überlagert das Bild. In den dunklen Partien, den Schatten, wird dieses rote Licht ganz besonders gut sichtbar, je nach Intensität überlagert es das Blau und erzeugt so – zusammen mit einer roten Gesamtfilterung – die insgesamt rote Atmosphäre.

Das Interview führte Achim Dunker

  1. Im Gegensatz zu Glühlampen und anderen Temperaturstrahlern haben Leuchtstofflampen kein komplettes Farbspektrum. Die Lichtfarbe wird dort aus einzelnen separaten Farblinien des Spektrums gemischt. ↩︎

Die chinesische Sonne scheint immer von unten

32,00 

Materialien Videos Achim Dunker hat für sein Buch Die chinesische Sonne scheint immer von unten umfangreiches Anschauungsmaterial erarbeitet. Die Verweise finden sich an entsprechender Stelle im Buch. Sie sind mit…

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