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Gernot Roll – Interview zum Thema Filmlicht

Gernot Roll (1939–2020) arbeitete seit 1964 als Kameramann. Außerdem betätigte er sich ab Mitte der 1990er-Jahre mehrfach als Regisseur.

Zusammenarbeit mit:

Jo Baier; Heinrich Breloer; Axel Corti; Jacques Deray; Helmut Dietl; Dieter Dorn; Bernd Eichinger; Jörg Grünler; Granz Henman; Nico Hofmann; Peter Keglevic; Fritz Lehner; Caroline Link; Edgar Reitz; Peter Sehr; Oliver Storz; Wigbert Wicker; Tomy Wigand, Sönke Wortmann.

Wichtige Filme:

Stunde Null; Ein Stück Himmel; Heimat; Wallenstein; Die Buddenbrooks; 1 + 1 = 3; Car-napping; Santa Fé; Welcome in Vienna; Mit meinen heißen Tränen; Franz Schubert; Faust; La Putain du Roi; Wildfeuer; Selbs Justiz; Krücke; Kaspar Hauser; Kleine Haie; Der bewegte Mann; Radetzkymarsch; Jenseits der Stille; Das Mädchen Rosemarie; Rossini; Jedermanns Fest; Ballermann 6 (auch Regie); Der Laden; Late Show; Der große Bagarozy; Ne günstige Gelegenheit (auch Regie); Tach, Herr Dokter! (auch Regie); Die Manns; Nirgendwo in Afrika; Brief einer Unbekannten; Knallharte Jungs; Trenck – Zwei Herzen gegen die Krone (auch Regie); Polly Blue Eyes; Pura Vida Ibiza (auch Regie); Speer und Er; Drei Schwestern – Made in Germany; Der Räuber Hotzenplotz (auch Regie).

Preise/Auszeichnungen:

6 x Adolf Grimme Preis mit Gold 2002; 3 x Deutscher Filmpreis; 2 x Deutscher Kamerapreis 2002; 2 x Goldener Gong; Bayerischer Filmpreis; Bayerischer Fernsehpreis; Telestar; Goldener Löwe RTL; AZ-Stern des Jahres 1998; Goldene Romy (Österreich); Fernsehpreis der österreichischen Volksbildung; Da Vinci Award Palm Springs 2000; Verdienstkreuz am Bande der Bundesrepublik Deutschland 2013.


Welche Bedeutung hat das Licht für Sie beim Filmen?

Licht ist zwar das hauptsächliche Gestaltungsmittel, aber es ist wirklich nicht das Einzige. Als Kameramann macht man nicht nur das Licht. Auch sagt niemand: „So und so wird das fotografiert – in einer Großaufnahme und einer Totalen”, und dann machen wir das Licht dazu.

Stimmt. Sieht man aber die amerikanischen Kameramänner, die sich nur um das Licht kümmern, geht es schon in diese Richtung.

Ich möchte das nicht machen. Wenn ich nicht Einfluss auf die anderen Bereiche der Fotografie habe, ist das eine ziemlich reduzierte, relativ langweilige Tätigkeit. Mir würde das keinen Spaß machen.

Man wäre nur für die Essenz zuständig, wie ein Koch, der nur die Soße macht und nicht das ganze Menü. Aber welcher Gast sagt schon, die Soße ist gut, nur der Braten ist schlecht?

Aber so ist es, von der hauptsächlichen Wirkung her. Die indirekte Wirkung von Schnitt, Bewegung der Kamera und der Schauspieler, Kadrierung usw., die mindestens einen gleichberechtigten Bestandteil ausmachen, nimmt der Zuschauer nicht so wahr. Das Licht schafft erstmal die Atmosphäre. Ich glaube, ich bin ein undankbarer Gesprächspartner, weil ich mich nicht durch irgendwelche Prinzipien einengen lasse.

Würden Sie soweit gehen zu sagen, es gibt keine Gesetze fürs Licht?

Absolut, es gibt die nicht. Was ist eine Führung, was ist eine Aufhellung, wie setze ich eine Spitze? Das sind Dinge, von denen ich mich schon vor zwanzig Jahren gelöst habe. Klar, ich bin in meinen Anfängen auch nach dem Prinzip verfahren: Es muss irgendeine Art Hauptlicht her, dann muss es aufgehellt werden und man muss eine Spitze setzen. Wie macht man das? So, wie man es sich von den alten Meistern abgeguckt hat. Davon habe ich mich längst gelöst – das als Prinzip existiert überhaupt nicht.

Ist es vielleicht so, dass man als Profi die Fotografie so verinnerlicht hat, dass man den Satz „Es gibt keine Gesetze” auf der Basis des Handwerks, das man beherrscht, sieht?

Eigentlich gibt es die nicht. Es geht nur darum, dass man irgendeine Wirkung erzielt. Wie man sie erzielt, ist jedem selbst überlassen, er ist nicht verpflichtet, irgendwelchen Regeln zu folgen. Hauptsache, die Wirkung ist da, wie auch immer. Das so genannte Führungslicht, es ist wirklich ein althergebrachtes Ding, das kann ganz schlicht auch nur eine Aufhellung sein, dann ist das eben das Führungslicht.

Ich habe versucht, es so zu definieren: Haupt- oder Führungslicht ist das Licht, das den Charakter der Szene bestimmt.

Nein.

Ich sehe es so, dass das Hauptlicht auch ein Gegenlicht sein könnte. Das Licht wird nicht von der Richtung zur Kamera oder zur Person definiert, sondern von der Stimmung der Szene her.

Na ja.

Extrem gesprochen: Wenn ich im Dunkeln filme, dann ist das Hauptlicht …

… das kann irgendein helles Fenster sein, und das Gesicht davor hat überhaupt kein Licht, wie auch immer. Ich habe es Ihnen schon angekündigt, ich kann es irgendwo gar nicht so definieren und kann nicht sagen: „So mache ich es, und so muss es sein.” Ich finde, jeder muss seine eigenen Wege gehen, wobei es für mich vielleicht ein paar ästhetische Regeln gibt.

Fällt Ihnen spontan etwas ein?

Spontan fällt mir ein, wo wir gerade über Gegenlicht auf Gesichtern sprechen, dass Gesichter oft zum Gotterbarmen ausgeleuchtet werden. Das macht mich oft ganz krank, mit welcher Nachlässigkeit Gegenlichtaufnahmen von Gesichtern gemacht werden, so dass beispielsweise die Nasenspitze noch vom Gegenlicht getroffen wird. Aber das ist mein ganz eigener, privater Geschmack, das mag auf jemand anderen nicht störend wirken, aber mich stört das. Sie wissen, was ich meine?

Noch nicht ganz.

Auf Gegenlichtaufnahmen sind alle ganz wild. Ich selbst bin auch ein Fan davon. Die Lichter werden aber nicht mit der nötigen Akkuratesse platziert, der Winkel ist nicht spitz genug, dem Schauspieler fällt direktes Licht auf die Wange, und es sieht unmöglich aus. Das sind Dinge, die mich sehr stören.

Den Satz „Es gibt keine Gesetze” könnte man vielleicht so verstehen, dass alles machbar sei und die gleiche Qualität habe. Und das hat es nicht.

Nein, das hat es nicht, aber es ist natürlich nur eine Frage des Geschmacks. Es ist keine Frage der Regel und der Allgemeinverbindlichkeit. Man kann nur sagen: „Es gefällt mir” oder „Es gefällt mir nicht” – oder „Es gefällt anderen” oder „Es gefällt anderen nicht” – und als Drittes: „Es dient dem Film” oder „Es dient ihm nicht”. Andere Kriterien, glaube ich, gibt es nicht. Ich bin vom Herzen her kein Cineast, überhaupt nicht. Film ist mir relativ unwichtig.

In Ihrer Vita steht aber, dass Sie 95 Fernsehspiele gedreht haben.

Vielleicht auch mehr, ich kann es nicht mehr zählen. Es sind immens viele, weil ich schon seit 1964 als Kameramann arbeite. Ich bin zu dem Gewerbe eher zufällig gekommen, nicht durch eigenen Drang. Filme zu machen, halte ich nicht für so wesentlich. Daraus entspringt natürlich eine gewisse gleichgültige Haltung dem Ganzen gegenüber.

Ist das kein Widerspruch? Auf der einen Seite sind Sie kein Cineast, aber beim Gegenlicht sind Sie sehr akkurat.

Na ja, da sag ich mir, wenn man es schon macht, dann muss man es wenigstens so gut machen, wie man es kann. Ich habe halt so eigene ästhetische Regeln entwickelt, aber wirklich eigene, mit denen man mehr oder weniger große Wirkungen erzielen kann. Das Gegenlichtbeispiel von vorhin steht für das, was mich stört, aus handwerklicher Sicht betrachtet.

Welchen Stellenwert hat die logische Lichtführung von Hilmar Mehnert für Sie?

Keinen. Ich kann das, was ich in meinem Leben gemacht habe, nicht in diese Logik einordnen. Auch die Einteilung in zwei streng abgegrenzte Stile, High-Key und Low-Key, trifft nicht zu. Die kommen in jedem eigenen Film variantenreicher vor, als Mehnert es beschrieben hat. Man kann nicht sagen, diesmal fotografiere ich einen Low-Key und nächstes Mal einen High-Key und dann zieh’ ich das den ganzen Film lang durch. Für heutige Zuschauer wäre das stinklangweilig. Heute hat man die Aufgabe, mehr Varianten anzubieten und szenengerechter auszuleuchten, damit sich die Fotografie nicht verselbstständigt.

In die Begriffe High-Key und Low-Key wird nach meiner Meinung zu viel hineininterpretiert. In der Schwarz-Weiß-Fotografie mag das richtig sein: Das Foto steht für sich allein und ohne Ton, ohne Bewegung, ohne Tempo, ohne Schnitt muss es etwas rüberbringen. Beim Film zeichnet sich ja das schlimme Ende einer Tragödie nicht nur dadurch ab, dass ich eine Kneipe im Low-Key ausleuchte.

Vollkommen richtig. Es ist dasselbe mit Nachtaufnahmen. Ich rede da von zwei unterschiedlichen Dingen, Nachtaufnahmen fürs Kino und Nachtaufnahmen fürs Fernsehen. Im Kino wirken Nachtaufnahmen von sich aus besser. Im Fernsehen muss man darauf achten, dass man nicht zu viele dunkle Bildflächen produziert, weil es nicht fernsehgerecht wäre. Es wird oft eine merkwürdige Art von Dunkelheit erwartet und verlangt, die nicht funktioniert. Die Dunkelheit auf dem Fernsehbildschirm hat keine eigene Lebensberechtigung. Man muss daher mit irgendeiner Art von Helligkeit suggerieren, dass es dunkel ist. Es kann unter Umständen taghell sein, und trotzdem hat man das Gefühl, dass es dunkel ist. Es ist nicht der richtige Weg, es einfach dunkel zu lassen oder unterzubelichten – das führt zu keinem nennenswerten Ergebnis. Dabei muss ich immer wieder einschränken, dass dies meine persönliche Meinung ist.

In den alten Western war es ähnlich. Die Nachtsequenzen wurden mit einer dunklen Einstellung – beispielsweise am Lagerfeuer – eingeleitet und die folgenden Aufnahmen waren nur etwas unterbelichtet und blau gefiltert. Man sieht alle Details und alle Schatten.

Gerade in den alten Filmen waren die Amis knallhart in dieser Richtung. Die haben einfach eine stillschweigende Übereinkunft mit dem Zuschauer erzielt: „Anders können wir es nicht machen, also machen wir es so und nun, Zuschauer, friss das bitte.” Wenn einmal das Symbol für die Nacht da war, dann schwingt das mit für den Rest des Films.

Die Logik, Nachtaufnahmen nachts zu drehen, wäre dann reiner Purismus?

Ja, aber logisch ist dann auch, dass man in der Nacht sehr viel zeigt. Man hat sich nicht damit zufriedengegeben, dass fünf Meter hinter dem Lagerfeuer in der Landschaft quasi eine schwarze Wand ist. Das menschliche Auge sieht in der Nacht ja auch mehr, also suggeriert man es mit einer Art von Helligkeit.

Wie sehen Sie grundsätzlich den Unterschied in der Ausleuchtung zwischen Kino und Fernsehen?

Grundsätzlich gibt es für mich keine Unterschiede, zumal wir heute dazu verdonnert sind, diese merkwürdigen Amphibienfilme zu machen, die beiden Medien gerecht werden müssen. Ich halte auch nichts von der Theorie, nach der man fürs Fernsehen keine Totalen fotografieren darf, und so etwas. Für mich ist das totaler Nonsens. Warum funktionieren dann die alten Kinofilme so gut im Fernsehen? Die sind nach wie vor der große Renner – vor unseren heute fürs Fernsehen produzierten Fernsehspielen und Fernsehfilmen. Und was den Abbildungsmaßstab anbelangt, bin ich nicht der Meinung, dass man fürs Fernsehen eine eigene Bilddramaturgie braucht. Das Einzige ist der Anteil der dunklen Flächen, der im dunklen Kinoraum besser wahrzunehmen ist.

Die Kaschbalken oben und unten im Fernsehen sind ja mittlerweile ein Qualitätsmerkmal.

Viele machen das extra, auch die Werbung, damit der Zuschauer denkt: Aha, das ist was Besonderes! Es ist ein wunderbares Mittel, denn schon hat man mehr Präsenz.

Wenn Sie an einen Stoff herangehen, wie entwickeln Sie das Lichtkonzept, wovon lassen Sie sich leiten?

Da gibt es immer einen Grundgedanken, der aber nicht präzisiert ist. Ich halte mich nicht für jemand, der einen Stil hat. Ich lasse mich eigentlich mehr von der Emotion des Augenblicks leiten. Wie der Film später aussehen wird, weiß ich vorher nicht. Außer ein paar Grundgedanken – das ist Kerzenlicht-Fotografie, das ist Sonne und das ist Schatten – ist nicht mehr vorhanden. Was dann letztendlich als Ergebnis da ist, entsteht bei mir in der Regel mehr im Moment der Arbeit, frei von jeder vorgegebenen Stilistik.

Entsteht es bei der Planung der Szene oder unmittelbar vor der Einstellung?

Beim Entwickeln der Szene mit dem Regisseur zusammen.

Sie haben ja 1988 den Kamerapreis in Köln für den Schubertfilm Mit meinen heißen Tränen bekommen. Bei den Ausschnitten fiel mir auf, dass in der Großaufnahme Effektschatten auf dem Gesicht waren, die in der Totale vorher nicht da waren.

Das kann passieren. Zum einen kann es Nachlässigkeit sein, zum andern aber auch, dass der Effektschatten sich für die Totale nicht eignete. Ich gehe dann immer sofort weg von der Logik. Mir ist alles, was zum Schlagwort Logik passt, zuwider. Ich schere mich beispielsweise nicht darum, wenn auf der linken Seite eine Kerze steht, und der Schauspieler bekommt von der anderen Seite das Licht. Für mich ist die Wirkung das Wichtigere. Als Schlagwort: Wirkung vor Logik. Dem folge ich ganz konsequent. Wenn mir jemand mit logischen Argumenten kommt, dann mag ich gar nicht zuhören.

Wie sieht die Zusammenarbeit mit Regisseur und Produzent aus, wenn Sie sagen, Sie wissen noch nicht, wie der fertige Film aussehen wird?

Normalerweise gibt es da kein Misstrauen, weil die meisten schon etwas von mir gesehen haben und darauf vertrauen, dass es gut wird. Es ist auch nicht so, dass man vorher examiniert und gefragt wird: „Wie machst Du es denn?” und dann hinterher entschieden wird, den können wir nehmen oder nicht nehmen.

Dann zeichnen Sie vorher auch keinen Lichtplan?

Ach, i wo.

Haben Sie schon mal mit Storyboard gearbeitet?

Ja und nein. Das Storyboard ist für meine Begriffe eher ein Hemmnis. Die vorgefassten Gedanken sind eher weniger kreativ als diejenigen, die am Ort entstehen im Zusammenspiel vieler Komponenten. Ich bin kein großer Freund von Storyboards, weil ich immer wieder feststelle, dass dort, wo Storyboards vorhanden sind, die Qualität der Auflösung eher ärmlicher ist als bei denen, die mehr spontan arbeiten. Es engt sehr stark ein, man muss die Chance haben, es sofort verlassen zu können, wenn man am Set bessere Ideen hat. Es gibt so viele Dinge, die im Moment entstehen, beispielsweise ein besonderer Ausdruck eines Schauspielers. Eine Großaufnahme wäre besser, was aber, wenn die Großaufnahme im Storyboard nicht vorgesehen ist? Oder umgekehrt: Warum war sie im Storyboard nicht drin? Die konnte nicht drin sein, weil man das Zusammenspiel der ganzen Kräfte, die an dem Endprodukt Bild beteiligt sind, nicht bedacht hat. Ein Storyboard ist dort wichtig, wo ein gewisser Aufwand vorhanden ist, der wirtschaftliche Konsequenzen hat. Auch dort, wo man viele Dinge im Voraus bedenken muss.

Sie sagten vorhin, dass Sie keinen Stil haben. Ich möchte noch einmal darauf zurückkommen. Mit welcher Art von Licht bevorzugen Sie, zu arbeiten – eher mit weichem Licht oder eher mit gerichtetem Licht?

Mit der Kombination aus beidem. Nur gerichtetes Licht ist ein Graus – und nur weiches, indirektes Licht ist ebenso langweilig. Ich verfolge andere Prinzipien. Reden wir mal vom Moment, in dem kein Licht vorhanden ist. Ich stelle erst einmal eine Art Grundlevel her, der eine Belichtung möglich macht. Das ist der Punkt, an dem oft schon wieder aufgehört wird, man sagt: „Aha, das belichtet ja, jetzt fotografieren wir es so.” Nur die reine Physik zu befriedigen, ist natürlich zu wenig.

Aber der Level ist nicht diffus, alles gleichmäßig …

Er ist in der Regel diffus. Zur Erzeugung gibt es unterschiedliche Wege.

Indirekt über eine Styroporwand mit einem 4-kW?

Na ja, so was oder eher etwas ganz Schwaches oder nur vorhandenes Licht benutzen und das dann veredeln.

Es ist nicht nur ein Baulicht, sondern es steckt schon eine gewisse Dramaturgie drin?

Vielleicht ja. Gehen wir mal von der reinen Studioszenerie aus und fangen da bei null an. Echte, gute Fotografie ist nur im Studio möglich. Ich hasse es, in Originaldekorationen rumzufuhrwerken, es sei denn, es geht nicht anders. Diesen Level herzustellen, ist so eine Sache, da kann ich keine Auskunft geben, weil ich selber oft nicht weiß, wie ich es mache – es sei denn, man stellt auf zwanzig Tische zwanzig Lampen hin, dann hat man die Grundsituation. Das würde vielleicht sogar belichten, aber es würde nach nichts aussehen, es hat Dokumentarcharakter, mehr nicht. Es hat also nicht einen gestalterischen Charakter. Man muss nun anfangen, Dinge dazuzufügen, die dieses Bild besser machen – nicht im Sinne von Verschönern, sondern von Verbessern, der Geschichte entsprechend richtiger machen.

Sie würden also von den Lampen, die Ihnen der Ausstatter oder Architekt hingestellt hat, ausgehen?

Das ist natürlich schon eine Frage, wie stark Sie das beeinflusst haben, was der Ihnen hinstellt. Es ist auch nicht so, dass das immer getrennte Bereiche sind. Wenn man etwas erzielen will, muss man von vornherein Einfluss auf diese Dinge nehmen. Eine andere Aufgabe ist beispielsweise, dass man sagt: „In dieses Zimmer hier soll eine ganz tief stehende Sonne scheinen.” Man fängt mit dieser Vorgabe an und schaut, was man damit machen kann. Wie weit stellt man den Scheinwerfer weg, wie färbt man ihn ein, wie platziert man die Szene um diesen Effekt herum? Eine Lichtstimmung einzufangen, ist oft eine Frage der Arrangierung der Szene um den Effekt herum, wenn das Schwergewicht der Szene auf der Lichtstimmung liegen soll. Ich habe mein Arbeitsprinzip selber nie analysiert und widerstehe auch dem Versuch und weigere mich, das irgendwann zu tun. Ich hätte das Gefühl, ich gerate auf eine Schiene, und ein Film sähe aus wie der andere.

Mir fiel auf, dass Ihre Effekte oft extrem sind.

Stimmt, ich neige dazu. Ich habe intern einen bösen, scherzhaften Satz gesagt: „Richtig beleuchten kann jeder.” Man muss aber einen Weg finden, um es gut falsch zu beleuchten, irgendwo ganz gezielte Fehler hineinzubringen, die wirklich von der Logik weggehen. Nur das hinterlässt Wirkung – meiner Meinung nach. Etwas richtig zu beleuchten, da kann ich gleich einen Dokumentarfilm drehen. Ich gehe in einen Raum, der von sich aus hell ist.

Aber was ist denn „richtig“?

Richtig ist nicht das, was logisch ist. Die Leute mit den logischen Argumenten sagen: „Das ist aber total unlogisch.” Meine Antwort ist: „Na gut, dann ist es halt unlogisch, aber es sieht besser aus und das ist entscheidend und nicht, was logisch ist.” Für mich ist das ein oberstes Prinzip, dass man bei jeder Aufnahme von dem logischen, dokumentarischen Charakter wegkommt, dokumentarisch im Sinne von Richtigkeit. Ich finde das ganz schauerlich, stinklangweilig und es interessiert keinen Zuschauer. Das Richtige sehen die Zuschauer sowieso jeden Tag, das muss ich ihnen nicht auch noch vorführen. Es hinterlässt ja keine Wirkung. Jeder will doch mit seinem kleinen Beitrag zu so einem großen Werk irgendeine Wirkung erzielen, sonst braucht man es ja nicht zu machen. Das ist die Grundhaltung. Wie man es im Einzelnen tut, ist dann eine zweite Frage. Wie es dann obendrein gelingt, ist die dritte Frage. Wenn mal was gelingt, wenn man etwas im Nachhinein als gut bezeichnen kann, dann basiert das auf diversen vorausgegangenen Fehlversuchen. Daher nehme ich für mich das Recht in Anspruch, dass ich Fehler machen darf.

Ist Ihnen schon passiert, dass Sie in der Vorführung saßen und feststellten, dass Sie sich die Effekte anders vorgestellt haben?

Das passiert laufend, man lernt dann daraus fürs nächste Mal. Das muss ja nicht der totale Flop sein, sondern es können auch Kleinigkeiten sein. Wenn man heute einen Weg für eine bestimmte Situation gefunden hat („So und so machen wir das, und so und so wirkt das”), dann hat es vorher bestimmt fünf- oder zehnmal nicht so perfekt funktioniert. Es ist nicht so, dass man alles mit der notwendigen Perfektion aus dem Ärmel schüttelt.

Gab es bei Ihnen bewusst den Punkt, an dem Sie sich von der Logik gelöst haben?

Den gibt es, ich kann ihn auch genau markieren. Es war der Moment, in dem die Bilder zu 90 Prozent so ausgeschaut haben, wie ich sie mir vorher vorgestellt habe. In der Zeit davor war die Wirkung der Bilder eher zufällig. Ich war dann heilfroh, wenn etwas entstanden war, dass man sich über einen klassischen handwerklichen Weg etwas hingebastelt hatte. Irgendwann kam der Punkt, an dem ich umgedacht und erkannt habe, dass die Bilder vorher im Kopf entstehen müssen. Daher sehe ich die Kameraarbeit als eine rein gedankliche an. Für mich ist das überhaupt keine Tätigkeit, die irgendwas mit einem Gerät zu tun hat. Es ist für mich total uninteressant und mir eher zuwider, mich hinter einem Apparat zu verstecken. Irgendwann habe ich umgeschaltet und gesagt, ich muss vorher wissen, wie es aussehen soll, und dann muss ich irgendeinen Weg suchen und das Handwerk einsetzen, damit es so aussieht. Der Zeitpunkt fiel merkwürdigerweise mit der Änderung meines Status vom fest angestellten zum frei schaffenden Kameramann zusammen. Ich war bis dahin lange bei der Bavaria in Geiselgasteig gewesen. Dort habe ich auch meine ersten großen Chancen bekommen, für die ich heute sehr dankbar bin. In diesen Monaten habe ich für mich die Erkenntnis gewonnen, dass ich es so besser kann. Vorher habe ich auch teilweise ganz gute Filme gemacht, aber es waren mehr oder weniger Zufallsprodukte.

Aber Sie sehen sich nicht als Experimentalfilmer?

Absolut nicht! Dazu tauge ich nicht. Auch geht das wieder in die Cineasten-Ecke und aus der komme ich nicht und mit der habe ich nichts zu tun. Obwohl ich das sehr achte, aber es ist nicht mein Bereich. Keiner kann alles.

Die Zufallsergebnisse damals waren aber nicht so extrem, dass der Film in irgendeiner Weise gefährdet war?

Gefährdet waren die Filme nicht. Diese „Überraschungszeiten“ dauerten elf bis zwölf Jahre. Die Filme hätten von meiner Arbeit her unterm Strich besser sein können, wäre ich damals schon auf dem Level gewesen. Ich lebe heute von der Erfahrung. Das, was man sich ausdenkt, bettet man ein in die Erfahrung und in das Handwerk, um dann zu einem Ergebnis zu kommen.

Geht Ihr jetziger Anspruch, die gedankliche, konzeptionelle Vorarbeit und die Vorauswahl der Bilder im Kopf nicht auch in die Richtung der Arbeitsweise der amerikanischen Kameraleute, die das eigentliche Drehen dem Operator überlassen?

Nein, nein. Aufgrund der Erfahrung ist es dann so, dass die handwerkliche Arbeit – Schwenken, Belichten – nebenbei läuft und relativ schnell geht. Ich kümmere mich heutzutage mehr um den Regisseur und unterstütze ihn in seiner Arbeit, soweit er es will und akzeptiert, indem ich ihm Vorschläge mache. Hat man ein Konzept gefunden – mir ist es lieb, wenn es erst kurz vor dem Drehen der Szene passiert – dann geht es aber hopp, hopp, hopp.

Machen Sie am Set erst einmal eine Stellprobe?

Manchmal ja, aber das ist auch kein Prinzip. Oft werden Choreographien einer Szene schon Tage vorher besprochen, einfach weil man vielleicht etwas vorbereiten muss. Man merkt ja in der Vorbereitung: Hier ist ein Schwerpunkt und hier nicht, hier kann ich mich auf die Stellprobe verlassen, und dort muss man vorher miteinander reden und dann vorbereiten. Man muss das selber aus dem Drehbuch rausfiltern, inwieweit man von sich aus Aktivitäten anzettelt.

Eine Frage zu Nachtaufnahmen. Lieben Sie „farbige“ Nächte?

Na ja, ich sage immer, ich möchte den mal erwischen, der Nachtaufnahmen erfunden hat. Ich weiß nicht warum, aber Außen-Nachtaufnahmen mag ich nicht. Dagegen Innen-Nachtaufnahmen drehe ich sehr gerne. Das ist ein Steckenpferd, das aufgrund der beruflichen Biografie entstanden ist. Kerzenlicht-Fotografie mache ich besonders gerne, es geht mir auch merkwürdigerweise leicht von der Hand. Farbige Nacht, na ja, warum nicht? Mir sind die äußeren Umstände bei Außen-Nachtaufnahmen immer zu groß, sie lähmen mich nur. Ich mag es nicht, weil oft ein Missverhältnis zwischen Aufwand und erreichter Wirkung entsteht. Ich versuche, mich davor zu drücken.

Haben Sie schon mal mit Moving Lightgedreht, einem Licht, das mit den Schauspielern mitgeht?

Nein. Eher klassisch, konservativ.

Wie leuchten Sie eine Kerzenlichtszene aus? Gehen Sie direkt von der Kerze aus …

Nein.

… oder verstecken Sie etwas dahinter?

Ja, sicher. Eine Unterstützung des Kerzenlichtes – wo auch immer und wie auch immer – muss sein. Physikalisch gesehen kann man zwar das Filmmaterial mit Highspeed-Optiken so ausquetschen, dass das Kerzenlicht ausreicht. Aber wir wären wieder dort, wo ich sage, das hieße, nur das vorhandene Licht zu benutzen – und das ist schon wieder langweilig. Es ist stinklangweilig, Leute nur mit Kerzenlicht zu fotografieren. Da übersieht man sich sofort, es hängt einem zum Halse raus. Daher müssen solche Verstärkungen sein, die nicht nur eine Belichtung bringen, sondern die Wirkung eines Kerzenlichts noch erhöhen.

Nehmen wir mal folgende Situation an: Zwei Leute sitzen an einem Tisch, auf dem Tisch steht eine Kerze. Welche Lichter bringen Sie noch zusätzlich ein?

Kerzenlicht hat eine gewisse romantische, schöne, warme Wirkung. Diese subjektiv empfundene Wirkung muss man im Bild derartig übertreiben, dass sie auch rüberkommt. Beispielsweise durch extreme Gegenlichter aus einer Richtung, wo keine Kerzen zu sehen sind. Oder bei einer Großaufnahme steht die Kerze vielleicht auf der linken Seite und das Licht kommt von rechts, von einer gedachten zweiten Kerze. Dieses Licht ist wesentlich heller als das, was die Kerze abgibt. Auch hier gibt es kein Prinzip und keine Regel.

Man könnte sich auch ein Fenster im Hintergrund denken, durch das blaues Mondlicht fällt.

Zum Beispiel. Oder aber die Kerze beleuchtet nur eine Gesichtshälfte und man bringt ein starkes Gegenlicht ein, von dem man nicht das Gefühl hat, da stehe ein Scheinwerfer. Es geht darum, unbewusst eine zusätzliche Wirkung zu hinterlassen.

Sie glauben nicht, dass der Zuschauer sich fragt: Wo kommt das Licht her?

Das glaube ich eben nicht. Ich habe – außer von den Logikern der Branche – noch nie einen Widerspruch gehört.

Wie beurteilen Sie die Kerzenlichtszenen in Barry Lyndon, von denen alle Welt behauptet, hier wäre zum ersten Mal allein mit Kerzenlicht gedreht worden?

Wer weiß schon, ob es wirklich so war? Nach dem, was manchmal so über vier, fünf oder acht Stationen weitererzählt wird, haben die auch mit Zusatzlicht gedreht, dort wo es einfach notwendig war. Ich glaube nicht, dass die um jeden Preis nur mit Kerzenlicht gearbeitet haben. Außerdem habe ich schon vorher mit Kerzenlicht gedreht, aber für uns hat keiner Reklame gemacht.

Guter PR-Trick.

Natürlich, ganz klar. Ich habe mich damals geärgert, weil ich das auch schon gemacht habe. Es war eine Geschichte über zwei Emigranten, die in der Silvesternacht in einem Keller sitzen. Sie haben nichts weiter als eine Kerze. Das war ein oder zwei Jahre vor Barry Lyndon. Obwohl es damals noch keine Highspeed- Optiken und kein Highspeed-Material gab, haben wir es doch so gemacht, dass man das Gefühl hat, die Leute säßen einsam bei einer Kerze. Wir haben die Leute so platziert, dass sie genügend Licht gefangen haben, und den Hintergrund etwas beleuchtet, damit sich die Darsteller abheben. Unser Know-how war damals eher armselig. Man muss sich an die Kerzenlicht-Fotografie herantasten, bis man den Trick gefunden hat, wie es wirklich gut ist.

Ist es ein Unterschied, ob fürs Kino oder fürs Fernsehen gedreht wird?

Absolut nicht. Mit der einzigen Einschränkung, dass beim Fernsehen die Farbe der Flamme weißlicher ist als im Kino, aufgrund der Elektronik. Rein subjektiv stört das nicht.

Das vorhandene Licht und das handwerkliche Umgehen mit Highspeed-Optiken und Materialien reicht Ihnen nicht aus? Man muss ja damit umgehen können, es ist ja nicht so, dass es jeder kann.

Ja, aber es ist erlernbar.

Die Schärfenprobleme, die bei Blende 1,3 auftreten, sind nicht ohne.

In der Tat, es ist ein Ritt über den Bodensee. Ich habe gerade einen historischen Kinofilm gemacht. 50 Prozent spielen drinnen, nur bei Kerzenlicht. Das war für den Assistenten eine äußerst schwierige Angelegenheit: Es gab Momente, da war die Schärfentiefe geringer als ein Zentimeter. Es muss Verständnis von den Schauspielern da sein. Die waren zum Glück auf unserer Seite und wussten, wo die Probleme lagen, und wollten auch eine starke Wirkung durch qualitative Bilder. Sie wussten, dass es besser aussieht und ihr Beitrag dadurch unterstützt wird.

Aber auch hier haben Sie zusätzliches Licht eingebracht?

Definitiv. Es gab hier oft das Problem des Führungslichts. Ich habe oft auf ein Gesicht ein Führungslicht gegeben, das eher die Tendenz zur Überbelichtung hatte. Diese Überbelichtung – eingefärbt und kombiniert mit einer schwarzen Gesichtshälfte – sieht gut aus. Es sieht besser aus, als wenn ich es ganz normal belichte.

Mit welchen Farben haben Sie es eingefärbt?

Das normale Korrekturorange, kombiniert mit Gegenlichtern, die durch diese berühmte Folie – „Golden Amber“ – eingefärbt waren. Dies hat sich sehr gut bewährt. Man kann das natürlich nicht zu Tode reiten, indem man 20 Filme so macht. Es ist immer ein Vortasten, irgendwann findet man etwas Neues.

Wie heißt der Film?

Die Hure des Königs. Es ist eine französisch-italienische Koproduktion.

Bei manchen deutschen Filmen gibt es den Trend, dass man die Farbe minimiert. Wie stehen Sie dazu?

Ich halte nichts von der technischen Beeinflussung der Farbe. Das Thema der Farbentsättigung ist so alt, wie ich dabei bin. Auf mich kommt nun zum dritten oder vierten Mal die Modewelle zu, dass es heißt, Farbe muss entsättigt werden – mit Vorbelichten, Nachbearbeiten, mit welchen Mitteln auch immer. Ich halte davon nichts. Wenn ich Farbe sage, muss ich auch wirklich Farbe zeigen und mit Mitteln der Farbe irgendwie etwas ausdrücken. Mir ist die Farbe eher sympathisch, ich mag sie ganz gern.

Ich pauschalisiere jetzt mal: Ich hatte bei manchen Ihrer Kollegen den Eindruck, dass sie insgeheim lieber einen Schwarz-Weiß-Film drehen würden, aber aufgrund der Verleihbedingungen und des Fernsehens dazu angehalten sind, mit Farbe zu drehen. Sie versuchen also, mit Farbfilm einen Schwarz-Weiß-Film zu machen.

Da ist etwas dran. Es ist auch ein Bestreben von mir, einen Farbfilm wie einen Schwarz-Weiß-Film zu fotografieren. Es ist eine sehr wirksame Angelegenheit. Große Kontraste erreicht man beim Farbfilm nur durch gezieltes Über- oder Unterbelichten. Normalbelichten ist sowieso feige.

Ja?

Na ja, woraus besteht gute Fotografie? Aus gezielter Über- und Unterbelichtung. Beim Schwarz-Weiß-Film muss man sich vor der Überbelichtung hüten, nicht vor der Unterbelichtung. Will ich im Farbfilm große Kontraste haben, ein halbbeleuchtetes Gesicht vor einer dunklen Wand, kann ich das Gesicht mit gutem Gewissen überbelichten. Mache ich das mit einem Schwarz-Weiß-Film, sieht es nicht gut aus. Die dunklen Teile des Bildes kann ich zwar genauso unterbelichten wie beim Farbfilm, aber das Gesicht nicht überbelichten oder nur ganz minimal. Diese Erkenntnisse gewinnt man, wenn man oft hin- und herwechseln kann. Ich habe zum Glück viele Schwarz-Weiß-Filme machen können. Die „Insider-Liebe“ und den „verklärten Blick“, wenn es um Schwarz-Weiß geht, habe ich nicht. Für mich ist das nur ein Mittel neben anderen, einen Film zu erzählen.

In dem Film Heimat haben Sie zwischen Farbe und Schwarz-Weiß gewechselt. Welchen Sinn hatte das?

Das ist eine tausendfach gestellte Frage. Das kam nicht nur von mir, sondern in erster Linie von Edgar Reitz. Er ist auch ein cineastischer Liebhaber des Schwarz-Weiß-Films. Heimat ist der Schwarz-Weiß-Film Stunde Null vorausgegangen, der relativ viel Beachtung fand. Edgar Reitz sagte, eigentlich möchte er Heimat auch in Schwarz-Weiß drehen, aber es gibt Momente, in denen der Schwarz-Weiß-Film einfach seine Grenzen hat. Da braucht man die Farbe als zusätzliche Impression, Information oder was auch immer. Unser einziger Gedanke war: Immer dann, wenn wir in einer Szene die Farbe vermissen, drehen wir sie in Farbe. Wir sind keinem anderen Konzept gefolgt als diesem. Es ist da wahnsinnig viel hineingeheimnisst worden. Es war gespenstisch, was da an Fragen gestellt und an Abhandlungen geschrieben worden ist. Aber ich halte das Experiment im Nachhinein für misslungen. Ich halte für legitim, es gemacht zu haben. Keiner kann von vornherein – schon gar nicht bei einem 16-Stunden-Film – mit tödlicher Sicherheit sagen, das funktioniert nicht. In den meisten Fällen hat es nicht so gut funktioniert, sondern nur Verwirrung ausgelöst. Es gab ganz wenige Momente, in denen es als Wirkung wirklich gut war – da, wo wir Schwarz-Weiß und Farbe kombiniert haben in einem Bild. Es war da, wo wir in gezielten Momenten die Farbe eingesetzt haben, zum Beispiel in der Szene, in der der Junge über das Dorf fliegt und für seine Schwägerin, die eine Ferntrauung macht, rote Nelken abwirft. Bis zum Abwurf war alles in Schwarz-Weiß, mit den Nelken kam die Farbe. Da war es gut und richtig, aber in anderen Bereichen ist uns oft der Gaul durchgegangen.

Bei der Zweiten Heimat, deren fünf erste Folgen ich gedreht habe, haben wir uns auf ein anderes Prinzip geeinigt. Der Tag ist Schwarz-Weiß und die Nacht ist farbig. Die Nacht ist für das Empfinden des Menschen farbig. Es wird oft ganz gern umgekehrt interpretiert, aber es ist eigentlich nicht so. Ich finde, am Tage registriert man nicht so viel Farbe wie in der Nacht. Dort geht es ganz konsequent nach diesem Prinzip. Es gibt kombinierte Übergänge, bei denen in einem Bild Farbe und Schwarz-Weiß eingesetzt werden. Beispielsweise geht vor einem schwarz-weißen Stadtpanorama eine glutrote Sonne auf.

Verwenden Sie Highspeed-Optiken und -Materialien?

Ich drehe sehr gern mit Highspeed-Optiken und normal empfindlichem Material.

Welchen Vorteil bietet das?

Die Qualität des normal empfindlichen Films ist nach wie vor besser. Der Highspeed-Film ist mir zu empfindlich. Ich bevorzuge in jedem Falle, egal wo und wie, eine Fotografie auf einem niederen Lichtniveau. Ich bin der Meinung, dass man mit wenig Licht das Verhältnis von Licht und Schatten besser in der Hand hat. Man kann natürlich mehr Licht einbringen und mit Blende 2,8 anstatt mit 1,3 drehen, weil die Schärfe besser ist, aber das Zusammenspiel von Licht und Schatten wird dann schwieriger.

Warum?

Es ist meine Erfahrung. Man muss anfangen, Schatten aufzuhellen. Auch vorhandenes Licht, das noch so rumschwirrt, oder Licht, das von irgendwelchen Gegenständen abgestrahlt wird, das man dann so wunderbar mit einfangen, mitbenutzen kann, das hört alles auf. Eine Fotografie mit einem ganz niederen Lichtlevel ist für mich qualitativ wesentlich höher stehend. Dafür reichen Highspeed-Optiken und normal empfindliches Material aus. Alles, was auf der Welt zu fotografieren ist, funktioniert mit dieser Kombination. Ich brauche kein Highspeed-Material. Beispielsweise bei einer sehr dunklen Straße hilft mir das Highspeed-Material auch nicht mehr – ich muss sie sowieso beleuchten. Wenn ich sage, die Straßenlaterne reicht mir aus, habe ich wieder diese Dokumentaraufnahme, die ich in jeder Tagesschau sehen kann, und habe keine bessere Wirkung. Wenn ich nachts eine Straße auszuleuchten habe, dann doch mit der Maßgabe, dass es irgendwie anders aussieht als ein Dokumentarfilm. Dafür reicht mir das normal empfindliche Material in der Kombination mit den Highspeed-Optiken und den ökonomischen Möglichkeiten, mit Lampen umzugehen – ohne dass man große Einheiten und zehn Beleuchter braucht.

Sie sehen den Einsatz des normalempfindlichen Materials von der Gestaltung her und nicht von der Maßgabe der Produktion, Geld zu sparen?

Zu einer gewissen Ökonomie ist man verpflichtet. Mit einer unökonomischen Arbeitsweise macht man sich sein eigenes Medium kaputt. Das Verhältnis muss gewahrt bleiben. Es darf natürlich auch nicht zugunsten der Produktion ausgehen – erstmal hat der Film Vorrang. Aber nur Aufwand um seiner selbst willen zu treiben, ist auch Schwachsinn. Wenn ich Aufwand treibe und dann bei Nachtaufnahmen auf 2,8 abblende, ist das für mich Nonsens, wenn es keinen speziellen Grund gibt.

Unterbelichten Sie Nachtaufnahmen?

Ich bevorzuge die Version, eher kräftig zu belichten und dann ein gutes Kopierlicht draufzugeben. Das Thema „Kopierlicht“ist in der Fotografie extrem wichtig. Es geht bei der gedanklichen Vorarbeit nicht nur um die Belichtung – das Bild soll die und die Wirkung haben – sondern auch darum, das Kopierlicht mit einzukalkulieren. Das heißt, hier spekuliere ich darauf, dass es hohes Kopierlicht ist und meine Wirkung steigert und da, dass es ein geringes Kopierlicht ist.

Was heißt „hohes Kopierlicht”?

Ich belichte stärker und kopiere dann wieder runter. Mit dieser Variante arbeite ich sehr oft.

Sie suchen sich also den Bereich auf der Gradationskurve aus – ob Sie im flachen oder steilen Bereich arbeiten?

So ist es. Das ist auch etwas, das früher oft durch die alte, klassische Lehrmeinung schlechtgemacht worden ist. Es gibt nun mal eine Vielzahl von Kopierlichtern und man sollte sie auch ausnutzen. Alles andere ist ein faules Denken. Aus der Sicht der Kopierwerke wurde ein merkwürdiger Qualitätsindex herausgegeben: „Das ist ein guter Kameramann, wir können den ganzen Film mit einem Licht kopieren.” Das war für mich eine der dümmsten Äußerungen, die ich je im Zusammenhang mit Fotografie gehört habe. Es ist fast bösartig und zeigt wenig Fachwissen. Die Variante des Kopierlichts schätze ich ganz hoch ein und will die auch benutzen.

Arbeiten Sie auch mit vielen kleinen Einheiten – pointillistisch – wie es heute Mode ist?

Nicht so in dem Sinne. Es macht mir Spaß, ein Zimmer nur mit einem Scheinwerfer zu beleuchten, beispielsweise einen 12-kW in ein Zimmer zu schicken, ohne dass jemals ein Schauspieler dieses Licht fängt oder ohne dass einmal die Wand fotografiert wird oder der Boden, wo der Scheinwerfer auftrifft. Ich habe da keine Prinzipien. So Schlagwörter wie: „Hach, das machen wir mit Lichtinseln!“ – dieser ganze Unfug macht mich eher krank.

Also ein 12-kW durchs Fenster und nur das Raumlicht reichen aus?

Ja, der ganze Schubertfilm ist so fotografiert worden. Für den dritten Teil, der in einem Zimmer spielt, hat über viele Tage nur eine Lampe gebrannt. Ein 6-kW durchs Fenster – das war unser Prinzip und dann suchten wir die Positionen der Schauspieler zum Licht.

War das das Grundlicht?

Das war das einzige Licht. Es kommt in der Natur überhaupt nicht vor und trotzdem haben wir es so gemacht, dass die Schatten nach oben fallen. Das Gesicht war mit einem gelben Licht bis zu den Augen total überbelichtet und andere Teile waren total unterbelichtet. Das waren Dinge, die Wirkungen hinterlassen.

Kam die Spitze auch von unten?

„Die chinesische Sonne scheint immer von unten.“ Aber ernsthaft: Man muss sich über diese Dinge hinwegsetzen. Man ist hoffnungslos verloren, wenn man es nicht tut, weil es langweilig wird. Alle haben heute einen hohen Standard erreicht. Das sehe ich oft und trotzdem merke ich, dass sich alles zunehmend gleicht, weil es so allgemeinverbindliche Regeln gibt wie beispielsweise, dass man eine Hauswand heutzutage durch einen Baum beleuchtet. Mal mit ein bisschen mehr Baum, mal mit ein bisschen weniger Baum und irgendwo fällt ein Licht raus. Okay, manchmal geht es nicht anders, aber das sind so Sachen, die vom einen wie vom anderen haargenau gleich gemacht werden. Auch ist die Fotografie ziemlich katalogisierbar geworden. Man muss zumindest versuchen, sich davon frei zu machen. Es ist gar nicht so einfach, andere Wege zu finden. Man kann ja auch nicht grenzenlos Einfälle produzieren – also ich kann das auch nicht.

Der Schubertfilm spielt zu einer Zeit, in der es als Lichtquellen hauptsächlich Kerzen gab. Spielte das eine Rolle für Sie?

Ja, wir haben hauptsächlich Kerzen eingesetzt.

Die sind dann verstärkt worden?

Ja, in der Regel vom Boden aus, denn das gibt einem die wunderbare Chance, dass man alle Scheinwerfer überschwenken kann, und man hat nichts Störendes mehr oben. Das ist ein Lichtprinzip, das ich sehr gerne anwende. Alle Lampen vom Boden, man kann 360° schwenken, sieht keine Lampe und hat eine Mordswirkung.

Ist es für Sie wichtig, die Lichtquellen wie beispielsweise eine Kerze im Bild zu haben?

Das hilft oft, muss aber nicht sein. Man unterliegt dabei schnell der Gefahr, dass man es übertreibt.

Wie sieht es mit der Handlungsachse bei so einem Schwenk um 360° aus? Bernhard Wicki geht in einer Minute viermal über die Achse.

Das macht doch nichts. Wozu ist die Achse da? Dafür, dass sie dem Zuschauer die Vorstellung der Geografie einer Szene ermöglicht. Ich kann jederzeit die Achsentheorie verlassen, solange die Choreografie und die Geografie einer Szene erhalten bleiben. Keiner kann mich zwingen, das anders zu machen.

Nein, nein.

Es heißt zwar immer, es gehe nicht. Wieso? Wir machen es jetzt so und dann geht es ja. Man hört diese Behauptung auch immer aus den Schneideräumen. Die Cutterin sagt: „Das kann ich nicht schneiden!” Erstmal kann man alles schneiden, oder?

Ja, klar.

Da funktioniert oft mehr, als man glaubt.

Diese Meinung trifft man oft bei Anfängern.

Ja, das haben sie sich gerade mal angeeignet. Es ist ein großer Fehler, wenn man sich starr diesen althergebrachten Regeln unterwirft. Die Regeln haben natürlich ihren Sinn, aber man muss lernen, sie zu interpretieren und ihnen nicht starr zu folgen. Alles andere führt zur Langeweile und ist katalogisierbar: „Heute schlagen wir nach im bundesdeutschen Einstellungskatalog von 17 a bis 19 b. Da steht es drin, wie wir das heute zu machen haben.” So kann man es auch machen, aber es führt zu nichts.

Glauben Sie, dass die Lichtstimmung am Set für den Schauspieler fühlbar ist und sein Spiel beeinflusst?

Das glaube ich schon. Hauptsächlich auch dann, wenn man ihm die Chance gibt, das Ergebnis anzuschauen, und ihn von der Kollegialität her in diese Gedanken mit einbindet. Ich habe beste Erfahrungen damit gemacht, dass ich Schauspieler durch die Kamera schauen lasse. Ich finde, dies ist ein ganz wunderbares Hilfsmittel, um bei ihnen Verständnis für die eigene Arbeit zu wecken. Ich beobachte ihn ja auch, und ich setze mich mit seiner Arbeit auseinander. Umgekehrt finde ich es auch gut, wenn der Darsteller das Gefühl hat, er ist auch an dieser Sache beteiligt – und nicht nur das Gefühl hat, er ist derjenige, der manipuliert wird. Er ist genauso ein Partner im Ablauf, im großen Uhrwerk. Es ist ein Riesengewinn für den Film.

… um ihm auch die Schärfenprobleme klarzumachen.

Ja, und dann in anderen Situationen zu sagen: „Hier spielt es keine Rolle, hier kannst Du tun und lassen, was Du willst.” Ab irgendeinem Punkt begreift er es, er ist dankbar dafür und spielt mit, es macht ihm mehr Spaß und es ist unterm Strich für alle Beteiligten besser, vom Ergebnis her. Es ist eine ganz wichtige Angelegenheit, die Schauspieler in die Probleme des Lichts einzubeziehen, damit sie nicht sagen: „Das ist eh wurscht, Hauptsache, ich bin gut zu sehen.”

Welchen Ihrer Filme halten Sie vom Licht her für besonders gelungen? Die Frage nach dem liebsten Kind.

Das sind fünf Filme. Der Reihe nach sind das die Wallensteinverfilmung nach Golo Mann, dann Buddenbrooks ist mir auch ein sehr liebes Kind, Heimat und die Filme von Axel Corti Santa Fé und Welcome to Vienna. Das war eine Schwarz-Weiß-Trilogie.1 Welcome to Vienna war auch ein internationaler Erfolg. Er ist über 14 Wochen in Paris gelaufen. Und ein Highlight ist der Schubertfilm Mit meinen heißen Tränen.

Das Interview führte Achim Dunker.

  1. Die Trilogie trägt den Namen Wohin und zurück. Der dritte Teil heißt An uns glaubt Gott nicht mehr. ↩︎

Die chinesische Sonne scheint immer von unten

32,00 

Materialien Videos Achim Dunker hat für sein Buch Die chinesische Sonne scheint immer von unten umfangreiches Anschauungsmaterial erarbeitet. Die Verweise finden sich an entsprechender Stelle im Buch. Sie sind mit…

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