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Gérard Vandenberg – Interview zum Thema Filmlicht

Gérard Vandenberg (1932–1999) war ein niederländischer Kameramann. Er lebte seit 1963 in der Bundesrepublik Deutschland und zählte bald zu den gefragtesten Kameramännern des jungen deutschen Films.

Zusammenarbeit mit:

George Moorse; Peter Lilienthal; Egon Günter; Johannes Schaaf; Peter Zadek; Freddie Francis; Jean-Pierre Ponnelle; Christian Ziewer; Christian Rischert; Peter Schamoni: Frank Weiß; Michael Verhoeven; Eberhard Itzenplitz; Wolfgang Glück; Bernhard Wicki; Edgar Reitz; Gustav. Ehmck; Marvin J. Chomsky; Vicco von Bülow; Ingemo Engström; George Sluizer; Tim Burstall; Thomas Koerfer; Frouke Fokkema.

Wichtige Filme:

Lenz; Zero in the Universe; Frühlingssinfonie; Carmina Burana; Jaider, der einsame Jäger; Tramp; A Gangstergirl; Fontane; Ned Kelly; Una due tre; The Prize; The Icekater; Casper David Friedrich; Der Tod des weißen Pferdes; Münchhausen; Heimatmuseum; Das Spinnennetz; 38; Die zweite Heimat; Rosamunde; High Score; The Strauss Dynasty; Pappa ante portas; Ginevra; Utz; Henri le Vert; Wildgroei; Facing the Forest; Wasserman.

Preise/Auszeichnungen:

Filmband in Gold (Beste Kameraführung) 1966; Adolf-Grimme-Preis für Der Beginn 1967; Adolf-Grimme-Preis für Der Italiener 1972.


Sie haben auch als Maler, Bildhauer und Bühnenbilder gearbeitet. Was bedeutet für Sie das „Licht“ auf dem Hintergrund der Malerei, wenn Sie als Kameramann mit Licht arbeiten?

Licht ist das, was in der Malerei die Farbe ist. Es gibt „dickes Licht”, „dünnes Licht“, es gibt ganz wenig Licht, „transparentes Licht”, „schweres Licht“, es gibt „kein Licht“ – das ist immer noch ein Licht – nämlich das berühmte Hollywood-Licht, das in der Dunkelheit immer noch da ist, damit man etwas sieht. In der Malerei kann man machen was man will, man kann zum Beispiel die Perspektive im Bild ändern. Bei der Kamera bestimmt das Objektiv die Perspektive. Die Malerei hat das Licht, das da ist, es bleibt stehen, man kann es nicht wandern lassen. Eine Skulptur dagegen wechselt mit dem Licht das Aussehen und den Ausdruck. Über die Fotografie meiner eigenen Skulpturen bin ich zum Film gekommen. John Ford sagte einmal: „Don’t move the camera, move the people.” Wir haben mal einen Film gedreht, da bewegten sich weder die Leute noch die Kamera, sondern das Licht.

Welcher Film war das?

Caspar David Friedrich.

Haben Sie sich von seinen Bildern und seiner Lichtgestaltung anregen lassen?

Ja schon. Wir haben auf das Licht gewartet – insgesamt zwei Jahre – bis wir es hatten. Seine Bilder sind von der Fantasie beeinflusst. Dinge sind größer oder kleiner, er konnte es komponieren wie er wollte. Im Film geht das nicht, es gibt einen festen Ausschnitt. Das Objektiv legt die Ebenen fest und es gibt zusätzlich noch die Bewegung. Mit dem Licht kann man die Ebenen und die Tiefen weiterentwickeln. Man kann das ganze Bild machen. In einem langweiligen weißen Raum, kann man nur durch Licht unglaubliche Tiefen erzeugen, speziell wenn Personen darin sind.

Haben Sie versucht, das Licht einer Landschaft im Film einzufangen?

Ja, der Film hieß Exil. Wir haben fünf Monate in Frankreich gedreht.

Kommt es rüber, dass es ein „eigenes“ Licht ist? Dass es das Licht von Paris ist?

Ja, das Licht von Paris hat eine eigene Stimmung. Es übt eine Wirkung aus auf die Leute, die nach Paris kommen, Es hat immer etwas mit der Fläche zu tun. Dort gibt es keine großen, zusammenhängenden Flächen mehr. Die Landschaft ist sehr urban und zersiedelt.

Auch andere Landschaften haben ein eigenes Licht. In Australien gibt es ein Tal namens „Mac Doucall“, im Boden sind Kupferteilchen, die reflektieren das Licht und der Himmel ist als sei er aus Gold. Außerdem gibt es den „Ayers Rock“, diesen riesigen Felsen. Dort ändert sich das Licht von schwarz bis weiß, es wird golden und silbern. Auch die riesige Fläche der Sahara wirkt wie ein Goldfilter.

Ich liebe das italienische Licht. Italien liegt wie ein langes, schmales Band im Meer. Das Meer reflektiert das Licht wie ein Spiegel. Wind und Wetter bestimmen die Meereswellen. Mit den Wellen ändert sich auch die Reflektion des Lichtes. Auch die Temperatur des Wassers, beziehungsweise die Farbe des Meeres bestimmt das mit. Sehr schönes Licht gibt es auch in Bordeaux an der Atlantikküste. Dort ändert sich das Licht jede Minute – es ist wahnsinnig! Lissabon – ebenfalls mit dem Riesenatlantik vor der Tür – hat ein irres Licht. Es ist faszinierend zu sehen, wie das Licht in die Stadt kommt.

Hier in München gibt es das Voralpenland-Licht. Es ist nur hier, Berlin hat dagegen kein gutes Licht. Es ist ein müdes, kontinentales Licht. Paris ist auch eine gute Lichtstadt, durch das Licht bekommt die Stadt immer wieder eine andere Energie. Rom hat ein goldenes Licht, wie ein Saharalicht.

Viele deutsche Filme haben kein Außenlicht, kein Licht für die Landschaften. Die Aufnahmen für Caspar David Friedrich haben deshalb so lange gedauert, weil wir auf das Licht gewartet haben. Ich bereite derzeit einen Film vor mit dem Titel Die zwölf Wunder der Welt. Eines davon ist die Sphinx in Ägypten, diese wahnsinnige Skulptur, die Frauenkatze, die dort liegt. Aus Stein, Jahrtausende alt, jeden Tag kann man sehen, wie sie müde aufwacht, wie sie sich streckt, sich umschaut, ganz frech wird und nachher müde wird und einschläft. Man sieht, wie das Licht die Sphinx abtastet, wie es wandert: Jede Stunde sieht die Sphinx anders aus, nur durch das Licht.

Eine Frau betritt ein Zimmer und bleibt im Türrahmen stehen. Sie sieht sehr gut aus, ist sehr jung. Sie geht weiter, setzt sich auf einen Stuhl neben eine Lampe, das Licht kommt von der Seite und die Frau sieht aus wie 60. Das Licht tastet etwas ab. Ein deutsch-jüdischer Fotograf hat in Jerusalem in den 1930er-Jahren auf einem Dach einen Tag lang einen 12-jährigen Jungen fotografiert. Zuerst sah er aus wie ein kleiner Junge, dann wie ein Junge, wie ein junges Mädchen, wie ein junger Mann, wie ein erwachsener Mann und schließlich wie ein alter Mann. Alles kam nur durch das Licht und die Beobachtung.

Gibt es einen Gerard-Vandenberg-Stil beim Licht?

Nein.

Haben Sie eine besondere Art, Licht zu setzen?

Nein. Ich mache gerne nur ein Licht. Ich finde, dass es eigentlich nur zwei Lichtquellen gibt. Die eine ist die Sonne und die andere ist der Mond. Ich möchte in der Lage sein mit einer Lichtquelle auszukommen, für Nacht und Tag. Ich liebe das Zwischenlicht, die Twilight-Zone, die Dämmerung, wenn das eine geht und das andere kommt.

Existieren in Ihrer Vorstellung keine künstlichen Lichtquellen? Kerze oder Lagerfeuer?

Doch, ich habe Filme nur mit Kerzenlicht oder einem Kaminfeuer als Lichtquelle gedreht.

Welcher Film war das?

Lenz von George Moorse. Ich habe das auch in Frühlingssinfonie gemacht (von Peter Schamoni mit Nastassja Kinski). Die Nachtszenen spielen fast nur bei Kerzenlicht. Rolf Hoppe geht mit seiner Tochter abends in ein Gasthaus, es ist ziemlich dunkel und der Wirt hat nur eine Kerze. Sie gehen die Treppe hoch mit dieser Kerze, gehen ins Zimmer und stellen die Kerze ab. Sie sind müde, der Vater sagt gute Nacht und sie legen sich ins Bett. Die Kerze ist aus und das Licht auch.

Wie haben sie das technisch gelöst? Nur mit einer Kerze. Highspeed?

Ja, mit Highspeed-Film und Highspeed-Objektiven. Man sagt, dadurch dass die Filme empfindlicher werden, braucht man weniger Licht – man verkennt aber die eigentliche Aufgabe der Ausleuchtung. Man braucht das Licht, um im Film eine Atmosphäre zu schaffen. Man konstruiert das Licht in einem Film, Ich hab’ in La Défense, diesem modernen Pariser Vorort, nur mit dem vorhandenem Licht gedreht. Das Motiv war zu groß, um es auszuleuchten, das könnte kein Mensch bezahlen. Es geht, man muss nur auf die Balance innerhalb des Bildes achten.

Was heißt Balance?

Wenn man nachts dreht, wie wir in der Vorstadt, mit dem natürlichen Licht und lichtstarken Objektiven und hochempfindlichem Film – wir hatten 400 ASA Farbe – und es fährt ein Auto vorbei, dann explodiert einem das Bild. Dann ist alles weiß, die Balance stimmt nicht mehr.

Also das Verhältnis von Hell zu Dunkel, der Kontrastumfang.

Ja. Normalerweise lassen wir bei Innen- oder Außendrehs alles über Dimmer laufen. Wenn die Schauspieler sich bewegen oder etwas tun und näher an die Lichtquelle kommen, ziehen wir das Licht runter.

Während des Spiels?

Ja, während des Spiels.

Sieht man als Zuschauer die Veränderung?

Nein, man sieht es nicht. Ich arbeite auch gerne mit „Moving Light”. Das Licht geht immer mit, es ist gerade außerhalb des Bildes. Dieses „Floating Light“ läuft auch über Dimmer, während der Bewegung kann es heller oder dunkler geregelt werden. Das Effektlicht geht auch mit und es kann geschwenkt werden. Auch das Hinterlicht wandert mit.

Es ist aber nicht so, dass der Zuschauer es merkt?

Nein, nie.

Bleibt der Effekt im Film gleich?

Ja. Das hat Vorteile für die Produktion. Ich müsste sonst eine ganze Straße mit einem sehr starken Hinterlicht ausleuchten. Das ist ein Riesenaufwand und kostet sehr viel Geld. Ich hab’ mal einen Film mit Freddie Francis gemacht. Er war selbst Director of Photography und hat mit John Husten Moby Dick gedreht. Für Sons and Lovers hat er einen Oscar bekommen. Er hat als Regisseur für die Hammer-Studios gearbeitet – als Spezialist für Horrorfilme. Bei einer Nachtszene habe ich zwanzig „Bruts“ auf eine weiße Stoffwand in der Landschaft gegeben, indirekt. Es sah aus wie Christos „Running Fence”. Er hat mich gefragt, warum indirekt? Ich hab’ ihm geantwortet: „Ich finde das Mondlicht ist mehr indirekt, es beißt nicht so wie das Sonnenlicht.“ „Wir werden es bei den Mustern sehen“, hat er geantwortet. Als er sie dann gesehen hat, sagte er: „Ja, es funktioniert.“

In dem Film habe ich auch einen „Brut“ unter einen Hubschrauber gehängt, an einem dreihundert Meter langen Kabel und bin über ein Schloss geflogen, wie eine Fledermaus. Ich bin hineingeflogen und habe überall hingeschaut und die Schatten haben sich immer monsterhaft verändert – man kann damit spielen. Freddie Francis hat mal zu mir gesagt: „Es gibt keine Gesetze.“ Wir hatten eine Szene in einem Zimmer auszuleuchten. Eine Frau und Mann saßen sich am Tisch gegenüber und aßen. Auf dem Tisch stand eine Kerze und ein Kaminfeuer brannte. Freddie erklärte mir, dass er alle Wände und die Decke im Bild haben will. Auf meine Frage, wo ich denn das Licht hinstellen solle, entgegnete er nur, das sei mein Problem. „Okay“, sagte ich, „dann mach ich das mit Kerzen und lichtstarken Objektiven.“

Die Frau schiebt dem Mann einen Zettel zu, legt ihn unter einen Kristallkerzenleuchter. Freddie wollte einen kleinen Zoom darauf haben. Ich sagte ihm, dass es nicht geht, weil die Lichtstärke des Zooms nicht ausreicht. Mein Vorschlag war, es mit einem kleinen Lichtakzent zu machen. Denn hätte ich neu ausgeleuchtet für den Zoom, wäre für mich die Stimmung der Szene kaputt gewesen. Der Vorschlag gefiel ihm nicht, denn die Zoomfahrt war sehr wichtig für ihn, damit die Zuschauer die Aktion sehen. Er sagte nur, du kannst das Licht dafür setzen, wenn du es brauchst – das mit der Stimmung geht schon in Ordnung. Ich habe es trotzdem mit einem „Inki“ gemacht.

In einer anderen Szene verschwinden die Leute immer in einer dunklen Ecke eines Zimmers. Beim nächsten Mal gehen sie wieder dorthin, doch jetzt ist die Ecke heller und die Szene entwickelt sich dort weiter. Wenn man ein Zimmer ausleuchtet, kann man alles Licht vom Fenster kommen lassen. Oder man arbeitest mit „Available Light” (vorhandenem Licht). Ich liebe es, Filme mit „Available Light“ zu fotografieren. Ein anderes Licht kann man natürlich noch zusätzlich einbringen.

Was war das für ein Film, den Sie mit Freddie Francis gedreht haben?

Es war kein Kunstwerk, sondern ein rein kommerzieller Vampirfilm. Freddie hat mit einer fernsteuerbaren Modellfledermaus gearbeitet. Nur die Schatten waren wichtig, das Modell selbst durfte niemals zu sehen sein. Um präzise Schatten zu bekommen, habe ich Lichtkanäle gemacht.

Bei Nachtaufnahmen gefällt es mit sehr gut, nur Licht auf den Hintergrund zu geben und nichts auf den Vordergrund. Oft gefällt mir eine Ausleuchtung mit Spitzen und Kanten nicht. Manchmal möchte ich das Licht bis auf eine minimale Aufhellung reduzieren und noch etwas: Ich hasse Mehrfachschatten. Ein Schatten bei einer Lichtquelle gefällt mir.

Bevorzugen Sie mehr weiches, indirektes Licht oder hartes, gerichtetes Licht?

Das hängt von der Szene ab. Das beste Licht ist für mich das indirekte Licht. Es ist leider sehr kompliziert, weil es unglaublich streut. Es strahlt auch immer weit in den Raum. Ich möchte aber, dass es an einem bestimmten Punkt aufhört. Das ist schwierig. Ich arbeite viel mit weißen Styroporflächen zur Aufhellung und mit schwarzen Flächen, um das Licht zu stoppen. Eine weitere Schwierigkeit liegt darin, dass die Schauspieler sich bewegen. Ich sagte mal zu dem Fotografen Helmut Newton: „Was du machst, ist sehr gut, mach doch mal einen Spielfilm als Director of Photography – die Zuschauer werden begeistert sein.“ Seine Antwort war: „What happens when the actors move?” Das Problem beim Film ist die Bewegung der Darsteller. Man kann ein wunderschönes Bild machen: von jemandem der in einem Sessel sitzt, beleuchtet von einer Stehlampe, mit einem Fenster im Hintergrund. Aber dann steht die Person auf und geht in ein anderes Zimmer. Während dieser Bewegung muss die Qualität und die Lichtkontinuität halten – das ist das Problem beim Film.

Würden Sie so weit gehen, wie einige Kollegen von Ihnen, dass Sie in einer Großaufnahme Effektschatten setzen, die vorher in der Totalen nicht zu sehen waren?

Nein, man darf den Wechsel nicht sehen. Wenn es schwierig ist und sich in der Totale nichts machen lässt, muss man sich in mehreren Stufen herantasten, Schritt für Schritt. Man kann das Licht immer ein bisschen ändern. Wenn man dann wieder wegspringt, kann es vielleicht dunkel sein – das macht dann nichts mehr.

Können Sie sich vorstellen „Moving Light“ als Stilmittel einzusetzen?

Nein. Ich möchte nicht, dass der Zuschauer die Technik sieht. Ich stelle auch keine Kamera ins Bild.

Ich meinte, dass der Zuschauer die Lichtänderung im Bild sieht.

Der Zuschauer sieht die Lichtänderung im Bild, aber er empfindetdie Lichtänderung als natürlich. Wenn ich eine Nachtaufnahme von einer Person mache und im Bild noch ein paar Effektlichter – quasi als natürliche Lichtquellen – habe und die Person bewegt sich auf eine Lichtquelle zu, dann regele ich das „Moving Light” höher. Beim Verlassen der Lichtquelle wird es schwächer, bis es schwarz ist. Geht der Schauspieler auf die nächste Laterne zu, wird es wieder heller. Bei langen Fahrten oder 360°-Schwenks hab’ ich keine andere Chance, mit dem Licht hinzukommen. Da wir Tonfilm machen, kann man den Schauspieler ins Dunkel gehen lassen und hört ihn nur noch. Manchmal steigert das die Konzentration auf das, was er sagt.

Wer kontrolliert das „Moving Light”?

Ich mache das. Der Regisseur sieht es erst in den Mustern. Er kann das nicht beurteilen, wenn er nicht selbst Kameramann gewesen ist. Ein ähnliches Problem ist es für die Regisseure, wenn man in der Dämmerung dreht. Die nicht vorher Kameramann waren oder sich intensiv damit beschäftigt haben, vergessen leicht, dass man nur 20 Minuten hat. Oft gibt es Textkorrekturen oder Änderungen in den Bewegungen und dann ist das Licht weg und die Regisseure sind ganz verwirrt. Ich bin mal drei Wochen lang nachts um zwei Uhr aufgestanden, um diese berühmten 20 Minuten zu haben – und jedes Mal haben wir es vermasselt.

Ist der Beruf des Kameramannes durch Highspeed-Objektive und -Filme einfacher als früher, weil man weniger ausleuchten muss?

Nein, ich glaube sogar, dass es viel komplizierter geworden ist. Früher hat man sehr viel Licht eingesetzt, die Filme waren unempfindlicher und gedreht wurde mit Blende 5,6. Die Tiefenschärfe war viel größer. Heute dagegen arbeitet man mit offener Blende. Die Tiefenschärfe ist sehr viel geringer und die Schärfeverlagerungen sind sehr viel schwieriger in diesen modernen „Low-Level-Light-Filmen“. Früher wurden alle Lichteffekte aufgebaut, man setzte große Lampen ein, die Dekorationen waren größer und höher – es war meiner Meinung nach einfacher. Bei einer Nachtaufnahme mit Blende 1,3 sind in einer Großaufnahme die Augen scharf und die Nasenspitze ist unscharf. So eine Szene kann schön und aufregend sein, aber sie ist nicht einfach für den „Focuspuller“. Die Bewegungen von Kamera und Schauspielern sind schneller geworden. Früher war die Kamera statischer und man hat mehr mit Schnitten gearbeitet.

Ist die Ausleuchtung für eine stehende Kamera einfacher?

Für eine bewegte Kamera, die den Schauspielern folgt, ist es sehr viel schwieriger eine stimmungsvolle Ausleuchtung zu machen. Ein weiteres Problem ist, dass die Kamera selbst keinen Schaffen werfen darf, was bei komplizierten Kamerabewegungen leicht passiert.

Ist dadurch die Ausleuchtung schlechter geworden?

Nein, aber früher war das Licht im Film viel präsenter. Als man nur mit Schwarz-Weiß-Material gearbeitet hat, machte man mit dem Licht die Farben. Ich habe damals mit einem Schwarz-Weiß-Film von Du Pont gearbeitet, der 168 Stufen von Weiß bis Schwarz hatte. 8 ½ von Fellini und L’Avventura von Antonioni sind auch auf dem Material gedreht worden.

Haben Sie eine Vorliebe für Schwarz-Weiß oder Farbe? Unabhängig vom Genre?

Nein, Vorliebe nicht. Aber ich liebe Schwarz-Weiß. Früher war Farbfilm eine Exklusivität, heute ist Schwarz-Weiß ein Luxus. Die Welt ist farbig, das Fernsehen, die Magazine, die Fotografie, die Videos – alles ist farbig. Wenn jetzt ein Schwarz-Weiß-Film auftaucht, dann wirkt der wie Silber oder Gold. Früher dagegen gab es nur gemalte farbige Bilder. Interessant ist ja auch, dass alle großen Maler fast immer nur farbig gearbeitet haben.

Was können Sie in Schwarz-Weiß besser darstellen als in Farbe?

Ich glaube ein Dokumentarfilm muss in Farbe sein, damit er Realität hat. Aber ein Spielfilm, eine erfundene Geschichte, die viel mit Stimmungen und Schatten erzählt wird, da glaube ich, ist Schwarz-Weiß besser geeignet. Im Schwarz-Weiß-Film sind die Schauspieler besser, denn es gibt keine Konkurrenz.

Warum?

Im Schwarz-Weiß-Film gibt es nur die Schauspieler, das Licht und die Schatten. Die Farbe bringt die Konkurrenz. Eine Frau in einem roten Kleid betritt ein Zimmer, dann sieht man nur das rote Kleid, weniger die Person. Um als Person zu wirken, muss sie näher kommen, bis man das Rot verliert. In Schwarz-Weiß können die Schauspieler vor allem in der Totalen besser spielen. In Farbe haben die Schauspieler manchmal keine Chance, weil Farbflächen zu intensiv sind. Denken sie an zwei Darstellerinnen: Die eine hat einen dunkelblauen Pulli an, die andere einen zitronengelben. Die Aufmerksamkeit der Zuschauer wird durch die Farbe auf die Frau in Gelb gelenkt. Die Malerei hat da einen unglaublichen Vorteil, indem sie die Akzente völlig frei setzen kann. Rembrandt war darin ein Meister. Er hat das Licht nur dahin gemalt, wo er es haben wollte, von unten oder von hinten – ohne zu fragen, woher es kommt. Er brauchte es an einer bestimmten Stelle von der er wollte, dass man sie sieht.

Machen Sie auch ab und zu so ein punktuelles Licht?

Ja, es ist gar nicht so schwierig, es dauert nur ein bisschen.

Machen Sie bevor Sie drehen einen Lichtplan?

Nein, ich mache eine Stellprobe am Drehort, die von den Bewegungen her exakt sein muss. Ich achte darauf, dass wir unsere „berühmten Ecken” bekommen, um unsere Lampen zu verstecken – dort wo die Schauspieler nicht hinkommen. Im Studio kommt das Licht immer von oben, weil die Scheinwerfer aufgehängt werden. Ich finde das nicht schlecht, aber ich mag es auch, wenn das Licht von unten kommt und nicht nur immer von oben. Die Sonne und der Mond kommen von oben, aber beim Rest ist es nicht zwingend. Ich spiele gern mit dem Licht. Das Problem ist auf der anderen Seite natürlich, dass man das Tagespensum schaffen muss. Es ist schwierig, da eine Synthese zu finden – sonst wechselt die Produktion den Kameramann aus.

Welchen Einfluss nehmen die Regisseure auf die Lichtgestaltung?

Es gibt wenige Regisseure die daran interessiert sind und die sich damit beschäftigen. Andere sagen, du machst deine Sache, ich mach meine. Die meisten sind mehr an der Bewegung von Schauspielern und Kamera interessiert als am Licht. Bernhard Wicki versteht was vom Licht, weil er früher Fotograf war. Andere Regisseure geben nur die Stimmung vor: Es soll eine dunkle Stimmung sein oder sie sagen: „Mach mir eine heitere Stimmung!“ Oder eine traurige oder die Stimmung ist grotesk oder leicht.

Es liegt dann ganz allein am Kameramann die Stimmung zu treffen?

Ja. Man sagt der Film hat einen Look. Der Look ist Licht, Bewegung, Kadrierung. Diesen Look muss man den ganzen Film über durchhalten. Leider sieht man Fehler erst im fertigen Film und dann ist es meistens zu spät. Ein Komponist hört sofort, wenn er falsch komponiert. Beim Film sieht man das nicht, man weiß es auch nicht. Daher haben von den 3.000 Kinofilmen die pro Jahr weltweit gemacht werden, nur drei etwas Magisches, das die Zuschauer in den Bann zieht. Ich hab’ mal ausgerechnet, dass ein Film 42 Komponenten hat, die in jedem Bild zusammenwirken.

Was meinen Sie mit 42 Komponenten?

Das sind die Bewegungen der Kamera, der Schauspieler, die Bewegung des Lichts, das Licht überhaupt, die Farbe, die Architektur, Kostüme, Masken, Geräusche, Stimmen, Musik und so weiter. Ich bin auf 42 Komponenten gekommen. Wieviel kann man davon wirklich kontrollieren und beeinflussen als normaler Mensch? Zwei, drei, fünf, sechs vielleicht – dann kommt man nicht mehr mit. Eigentlich ist der Regisseur ein Dirigent, aber was für einer? Er dirigiert Schauspieler. Die meisten Regisseure sind Textregisseure, Verbalisten. Für sie ist die Sprache entscheidend. Im Tonfilm ist Sprache natürlich wichtig, aber der Film hat auch etwas mit Körpersprache zu tun. Die Schauspieler müssen sie beherrschen, der Regisseur muss wissen, wie er damit umgeht, wie er sie benutzt. Auch muss er den Drehort richtig einsetzen, das Zimmer, die Piazza oder die Landschaft. Er muss Architekt und Choreograf sein. Weiter braucht er Sicherheit für Perspektive und Objektive. Und er muss was vom Ton verstehen, er muss wissen, wann er welche Geräusche mit welcher Absicht einsetzt. Alle diese Elemente muss er beherrschen – das ist sehr schwierig.

Wie ist die Zusammenarbeit mit Bernhard Wicki oder einem anderen Regisseur, der großen Wert auf das Licht legt?

Bernhard Wicki macht keine normale Auflösung, also Totale, Halbnah, Groß. Er hat eine 360°-Dramaturgie. Man muss sehr aufpassen, denn er schafft es in einer Minute viermal über die Achse zu gehen. Er ist ein Sammler, er sammelt Einstellungen. Er sieht immer alles, was du machst auf seinem kleinen Monitor. Aber er traut dem nicht so – er schaut auch durch die Kamera. Er braucht viel Zeit für seine 360°-Dramaturgie. Wenn es zu lange dauert, wird es aber schwierig, das Licht zu halten. Das gilt auch für Innenaufnahmen, wenn das Licht durch die Fenster kommt. Du musst dein Tagespensum schaffen, egal ob du zwei Leute vor der Kamera hast oder viertausend. Du hast nur den einen Tag, ein zweiter Tag ist zu teuer. Manchmal ist das ein Gefühl, als wenn du die ganze Produktion auf dem Rücken trägst.

Bernhard Wicki ist doch dafür bekannt, dass er die Drehzeit überzieht.

Ja, das Problem liegt aber für die Kamera darin, dass sich das Licht ändert. Beispielsweise bei Außendrehs im Sommer: Ab 17 Uhr wird das Licht immer roter und roter. Um 18 Uhr drehen wir aber auch immer. Du musst dann immer stärker filtern – dadurch geht dir aber die Blende verloren. Man kann aber nur schlecht innerhalb einer Szene von Normal- auf Highspeed-Material umsteigen. Der Zuschauer sieht das und es stört. Bei Aufnahmen in diesem Zimmer hier, hätte man damit zu kämpfen, dass die Sonne wandert und die Schatten sich verändern. Ich habe einen Film mit Peter Zadek in der Wüste gedreht. Dort hatten wir auch mit den wandernden Schatten zu tun. Ein weiteres Problem entstand dadurch, dass die Sonne in diesen Breitengraden immer höher steigt bis sie schließlich senkrecht steht und dass die Augen dadurch zu dunklen Höhlen werden. Du musst dann von oben das Licht abblocken und von vorn mit Bruts oder HMIs aufhellen – sonst hast du keine Chance. Die Augen sind sehr wichtig im Film, denn Film hat etwas zu tun mit den Blicken der Menschen.

Können Sie sich vorstellen, heute noch Frauen so wie Marlene Dietrich oder Greta Garbo auszuleuchten?

Ich habe früher als Vogue-Fotograf so gearbeitet, dass die Knochenstruktur rauskam. Die Kamera war etwas über Augenhöhe, so in Höhe der Nasenwurzel. Das Licht kam von oben, weich, aber gerichtet, von vorne wurde etwas aufgehellt. Der Kopf musste etwas hoch genommen werden, damit die Wangenknochen rauskommen.

Schauspieler oder Schauspielerinnen haben aber heute nicht mehr durchgängig über mehrere Filme ein spezielles Licht?

Nein, heute ist es oft nicht möglich für eine einzelne Schauspielerin extra Licht zu setzen. Sie hat das Licht, das für alle da ist.

Haben Sie Vorbilder?

Vorbilder nicht, aber ich habe eine große Bewunderung für Vittorio Storaro. Er ist ein Lichtfanatiker. Er hat immer sein ganzes Team dabei. So wie Rembrandt oder Rubens hat er immer 20 Assistenten dabei, Operators und Beleuchter.

Gibt es einen Film, der sie besonders vom Licht her beeindruckt hat?

Citizen Kane und The Magnificent Ambersons von Orson Welles. Die ganz alten Filme gefallen mir nicht so, weil das Nitromaterial sehr hart ist – es hat noch nicht die Grauwertabstufungen.

Beide Filme sind ja auch von der Schärfentiefe her beeindruckend.

Manche Einstellungen sind mit Splitfocus-Objektiven gedreht worden.

Was heißt Splitfocus?

Es sind zwei Schärfeebenen da. Das Glas im Vordergrund und ein anders Objekt im Hintergrund. Man braucht dafür sehr viel Licht.

Setzen Sie unterschiedliche Farben ein, um Akzente zu setzen?

Oh, ja. In einem der letzten Filme habe ich sehr viel mit Farben gearbeitet. Der ganze Film ist künstlich, er ist wie ein Videoclip, allerdings auf Film gedreht. Es kommen auch Videobilder drin vor.

Wie heißt der Film?

High Score. Es geht um Videogames. Die Darsteller werden zu Figuren, wie die Figuren in den Videospielen. Der Himmel ist immer giftgrün – durch die Umweltverschmutzung. Es gibt auch giftgrünen Nebel.

Wie haben Sie das technisch gemacht?

Durch Verlaufsfilter, das geht ganz gut.

Auch verschiedenfarbiges Licht in einer Szene?

Ja sehr viel, aber es ist kein Bonbonfilm.

Sie kommen von der Nouvelle Vague her?

Ja, die Nouvelle Vague war sehr wichtig für uns. Wir wollten weg von dieser ganzen Technik. Die Technik war unwichtig für uns. Die Kamera war mit dabei und es wurde gedreht wie es kam. „Instant Movie”, die Technik war dem Film und der Kreativität im Weg.

Ein Maler hat es einfacher, er hat nur sich selbst, die Farben und die Leinwand. Beim Film hast du einen riesigen Apparat, der in Bewegung gesetzt werden muss. Das ganze Team muss so begabt sein, soviel Interesse haben, wie der Komponist oder Maler als Einzelner hat. Die Stimmung so hinzubekommen, dass alle auf dieser Ebene mitgehen, ist schwierig.

Das Licht der Nouvelle Vague war doch einfach.

Sehr einfach. „Available Light” und ein bisschen Aufhellung. Die ersten Spielfilme hab’ ich mit Fotolampen ausgeleuchtet und nicht mit Filmleuchten. Ich hatte acht Lampen mit je 500 Watt, Alufolie, Schwarzpapier, Tüll und alte Zeitungen. Mit den Zeitungen habe ich Lichtkanäle gemacht. Zeitungen sind das einfachste, sind überall zu bekommen und sind nicht schwer. Man kann sie zusammenpinnen und überall hinhängen. Zeitungen blocken das Licht nicht total, sie sind weder zu schwarz noch zu weiß, dass man sie als Lichtblocker und als Aufheller benutzen kann. Ich hatte eine große alte Tasche und da war dann alles drin. Die Produzenten sagten dann, prima, der braucht überhaupt kein Licht. Das war auch bei der Nachtszene in Paris so und es sah gut aus. Aber das Ganze hat einen Haken, denn die Produzenten sagen anschließend, es geht also ohne Licht, dann brauchen wir keines mehr.

Wie haben Sie sich von da aus weiterentwickelt?

Ja, die ganze „Dramatik”. Sehr viel habe ich von Freddie Frances gelernt. Sehr wichtig war für mich auch Joris Ivens (niederländischer Dokumentarfilmer). Er sagte immer: „Schau genau hin, was passiert.” Wir haben ihm unsere Filme im Kino vorgeführt. Als wir ihn danach fragten, wie es ihm gefallen habe, sagte er nach einer Weile nur: „Es bleibt schwierig!”

Das Interview führte Achim Dunker

Die chinesische Sonne scheint immer von unten

32,00 

Materialien Videos Achim Dunker hat für sein Buch Die chinesische Sonne scheint immer von unten umfangreiches Anschauungsmaterial erarbeitet. Die Verweise finden sich an entsprechender Stelle im Buch. Sie sind mit…

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