Skip to content Skip to footer

Das Filmpublikum in der DDR

Am 19. Januar konnte erstmals seit Beginn der Corona-Pandemie wieder eine Präsenz-Veranstaltung unserer „Kölner Mediengespräche“ in den Räumen des Herbert von Halem Verlages stattfinden. Der Medienwissenschaftler Joseph Garncarz stellte sein aktuelles Forschungsprojekt über das Kinopublikum in der DDR vor.
Joseph Garncarz stellt im Halem Verlag sein Forschungsprojekt zum Filmpublikum der DDR vor.

Zum Einstieg erläuterte Garncarz die Filmpolitik der DDR und die mit ihr verbundenen Strukturen. Welche Filme gezeigt werden konnten, wurde vom Ministerium für Kultur (MfK) und der Hauptverwaltung Film (HV Film) vorgegeben, während der Progress-Filmverleih für die Verteilung der Filme an die Bezirksverleiher zuständig war, welche die Filme dann an die Spielorte weiterleiteten. Im Gegensatz zur heutigen Filmindustrie, aber auch zu der des „3. Reiches“, zielte die Filmindustrie der DDR nicht primär auf Profit, sondern auf „ideologiekonforme“ Persönlichkeitsbildung ab. Dementsprechend wurden strikte Vorgaben gemacht, wie das Kino-Programm auszusehen hatte. Diese seien teils noch rigider gewesen als zur NS-Zeit, während der zwar regimekritische Filme oder Filme der Kriegsgegner verboten wurden, aber dennoch die Nachfrage des Publikums beachtet wurde, so Garncarz.

 
 
In der DDR hingegen wurde sehr genau selektiert, was gezeigt werden durfte, teilweise sogar gezeigt werden musste. So gab das MfK vor, dass etwa 75 Prozent aller gezeigten Filme aus sozialistischen Ländern stammen mussten (allein ca. 25 % aus der Sowjetunion und ca. 10 % von der DEFA). Zwar waren Filme aus dem „Westen“ (der Bundesrepublik, Nachbarländern wie Italien und Frankreich, aber auch den USA) nicht per se verboten; sie machten etwa 25 Prozent des Filmangebots aus. Aber besonders hier wurde stark selektiert, es wurden vor allem solche „Westfilme“ gezeigt, die sich kritisch mit den Zuständen im Westen auseinandersetzten. Auch wurden Filme aus dem Westen mittels politischer Maßnahmen möglichst unattraktiv für Kinobetreiber und Zuschauer gemacht. So mussten die Betreiber für Westfilme einen erhöhten Mietzins bezahlen oder es wurde ein höherer Eintrittspreis für Westfilme verlangt. Für ideologisch kompatible Filme gab es hingegen Vergünstigungen, oft wurden Karten verbilligt an Betriebe verkauft und
von diesen an die Mitarbeiter verschenkt.

Gefragte Filme aus dem „Westen“

Wie wirkten sich diese Maßnahmen nun auf den Filmkonsum der Zuschauer aus? Die bisherigen Ergebnisse des Forschungsprojekts sprechen eine deutliche Sprache: Viele der Maßnahmen verfehlten ihr geplantes Ziel: Filme aus dem Westen waren beim Publikum deutlich gefragter als die der sozialistischen Länder.
 
 
Die von den Betrieben für sozialistische Filme verschenkten Kinokarten (seinerzeit noch einheitlich, nicht speziellen Filmen zugeordnet) nutzten viele Mitarbeiter, um stattdessen einfach in Aufführungen von Westfilmen zu gehen. Als Gegenmaßnahme wurden daraufhin Stempel auf den Kinokarten eingeführt, die jede Karte einer bestimmten Filmvorstellung zuwiesen. Nach und nach wurden aber auch immer mehr reine Unterhaltungsfilme in der DDR zugelassen, um auf die zunehmende Unzufriedenheit der Bevölkerung zu reagieren. Die Kinozuschauer in der DDR hatten also schon einen gewissen Einfluss auf die gezeigten Filme.
 
Interessant ist auch der Vergleich zwischen der DDR und der Bundesrepublik im Hinblick auf die Zuschauerpräferenzen im Kino. Dieser gestaltet sich als schwierig, weil die Zahl der Filme, die es sowohl im Westen als auch im Osten des geteilten Deutschlands zu sehen gab, klein war. Die verfügbaren Daten zeigen aber: Westfilme, die im Osten sehr beliebt waren (1987 etwa Otto – Der Film), erfreuten sich auch in der Bundesrepublik großer Beliebtheit. Dies legt den Schluss nahe, dass die „Geschmäcker“ in Ost und West gar nicht so verschieden waren. Joseph Garncarz zufolge trieb die Zuschauer in der Bundesrepublik und der DDR sehr wahrscheinlich das gleiche Ziel in die Lichtspielhäuser: Sie wollten gut unterhalten werden.
 

Joseph Garncarz hat 2021 im Halem Verlag die vielbeachtete Studie Begeisterte Zuschauer über die Macht des Kinopublikums in der NS-Diktatur veröffentlicht.