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“Wichtig ist das, was nicht gesagt wird.”

Was bedeutet es, journalistisch über eine Diktatur zu berichten? Über diese Frage sprach Katja Artsiomenka, Professorin für Journalismus an der HMKW in Köln, bei ihrem gestrigen Vortrag im Rahmen der Kölner Mediengespräche. Sie ging dieser Eingangsfrage am Beispiel ihrer Heimat Belarus nach, die als “letzte Diktatur Europas” gilt, über die aber viele Menschen in Europa ansonsten nur wenig wissen.

Ein großes Problem sei das Bildmaterial aus Belarus. Die dortigen Sicherheitsbehörden (oder eher “Unsicherheitsbehörden”, wie Artsiomenka sie nennt) überwachen die Arbeit von Journalisten sehr streng, weshalb es kaum möglich sei, wirklich authentisches Bildmaterial zu erhalten. Journalisten würden teils Jahre später noch aufgrund ihrer Arbeit verhaftet, in der Justiz herrsche Willkür. Unter anderem gab es Fälle, in denen Haftstrafen von zwei Jahren verhängt wurden, die Verurteilten aber faktisch viel länger inhaftiert waren. Kritische Medien würden schnell als “extremistisch” gebrandmarkt. Was man an Bildern bekomme, zeige meist prominent den belarussischen Staatschef Alexander Lukaschenko oder auch idyllisch wirkende Alltagsszenen, aber selten konkrete Einzelpersonen, wodurch die Bevölkerung des Landes anonym bleibe. Sprich: Es dringt nur das nach außen, was das Regime den Rest Europas sehen lassen will. “Lukaschenko kontrolliert die Bilder”, fasst Artsiomenka es in einem Satz zusammen. Das Ziel des belarussichen Regimes, wie auch aller anderen Diktaturen, sei es, nach außen ein Bild der Einheit und Stabilität zu vermitteln und als legitime Regierung zu erscheinen.

Problematisch sei auch der Umstand, dass Journalisten in Europa für die Berichterstattung über Belarus natürlich trotzdem auf Meldungen aus Lukaschenkos Umfeld angewiesen sind, gerade weil es kaum unabhängige Quellen gibt. Es sei dabei allerdings wichtig, sich klarzumachen, dass diesen Meldungen kaum zu trauen ist. So wird zum Beispiel aus Lukaschenkos Kreisen berichtet, dieser sei etwa nach Russland oder in den Iran gereist, zu welchem Zweck diese Reisen erfolgt sind, wird jedoch verschwiegen. Gerade dies sei aber die Information mit dem eigentlichen Nachrichtenwert. “Wichtig ist das, was nicht gesagt wird”, so Artsiomenka. Für die Berichterstattung über Belarus sei es zentral, eben genau diese blinden Flecken zu fokussieren und den Quellen immer mit Misstrauen zu begegnen. Es müsse davon ausgegangen werden, dass die Quellen lügen. Dies stehe in einem Spannungsverhältnis zum Journalismus aus anderen Bereichen, für den die Arbeit mit Quellen ja sonst unerlässlich ist. “Über Diktaturen zu berichten, heißt, das Unvorstellbare zu denken und dem Publikum vorstellbar zu machen”, fasst Artsiomenka dieses Paradoxon in Worte.

Dieser Spagat gelinge aber vielen Journalisten nicht, so Artsiomenka weiter. In deutschen Medien werde Lukaschenko zum Beispiel meist als “belarussischer Präsident” bezeichnet, obwohl die Präsidentschaftswahl 2020 manipuliert wurde und Lukaschenko von der EU nicht als Präsident anerkannt wird. Seine Gegner bezeichnet man hingegen als “Oppositionelle”, was diese ablehnen, da dieses Wording eine Legitimität des Regimes in Belarus impliziert, die diesem nicht zusteht.

Katja Artsiomenka und Herbert von Halem im Gespräch.

Katja Artsiomenka hat einige Ratschläge formuliert, um mit dieser sehr schwierigen Lage als Journalistin oder Journalist umzugehen:

Es ist wichtig, denjenigen Belarussen und Belarussinnen, die im europäischen Exil leben, zuzuhören. Diese würden sich oft an die Medien wenden, um von ihren Erfahrungen zu berichten, was aber kaum in die Berichterstattung aufgenommen werde, obwohl dadurch authentische Einblicke zu gewinnen wären. Artsiomenka beklagt eine gewisse Arroganz der Journalisten gegenüber ihren Landsleuten, die es dringend abzulegen gilt.

Die Lage in Belarus sollte aktiv zum Thema der Berichterstattung gemacht werden. Leider wird über Belarus meistens nur berichtet, wenn die aktuelle Weltlage dies nahelege, etwa wenn Lukaschenko gerade als Verbündeter Russlands in dessen Angriffskrieg gegen die Ukraine in Erscheinung tritt. Diese Passivität trägt mit dazu bei, das Belarus im Bewusstsein der Europäer kaum präsent sei, was letztlich dem Regime Lukaschenkos in die Hände spielt. Es ist wichtig, die Lage dort aktiv in den Blick zu nehmen und darüber zu berichten.