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Rückblick: Die Macht der Bilder

Klaus Sachs-Hombach, Anne Ulrich und Felix Reer zu Besuch im Herbert von Halem Verlag

Am 11.2. hielten Klaus Sachs-Hombach und Anne Ulrich einen Vortrag im Herbert von Halem Verlag. Hier lesen Sie eine kurze Zusammenfassung der Veranstaltung.

„Ein Bild sagt mehr als tausend Worte“ – eine bekannte Metapher über die Aussagekraft und die Universalität der Bildsprache als weltweit verständliches Kommunikationsmedium. Bilder haben aber auch durch ihre Gestaltung, ihren implizierten Appell, die Macht, uns im Denken und Handeln zu beeinflussen. Diese „Macht der Bilder“ wurde am 11. Februar 2016 bei der gleichnamigen Vortragsveranstaltung im Herbert von Halem Verlag theoretisch und praktisch aufgeschlüsselt. Der Medienwissenschaftler Prof. Dr. Klaus Sachs-Hombach von der Universität Tübingen, langjähriger Autor des Verlages, stellte in Zusammenarbeit mit der Kulturwissenschaftlerin Frau Dr. Anne Ulrich die theoretischen und praktischen Grundlagen für die Wirkung von Bildern dar.

Zum theoretischen Verständnis der Bildwirkung sei es zunächst wichtig, sich mit Begriffen aus der Medienphilosophie wie der Sprechakttheorie, der Semiotik und den Kognitionswissenschaften auseinanderzusetzen. Es gelte, ein Modell der visuellen Kommunikation zu entwickeln und daraus die Vor- und Nachteile der Bildmedien im Verhältnis zu anderen Medien zu erarbeiten. Ebenso bedürfe die Frage, warum Bilder eine öffentliche Aufmerksamkeit entwickeln, einer eingehenden Klärung. Als praktisches Beispiel hierfür wurde die Fotografie des toten syrischen Flüchtlingsjungen Aylan Kurdi am Strand nahe der türkischen Stadt Bodrum aus dem vergangenen September verwendet. Diese Aufnahme sei bereits zu einer Bildikone geworden, habe weltweites Aufsehen und Anteilnahme erzeugt. Der norwegische Schriftsteller und Literatur-Nobelpreisträger Karl Ove Knausgard beschrieb in einem wichtigen Aufsatz über dieses Bild die eindrucksvolle Darstellung der „Wirklichkeit“. Er habe sich durch diese Aufnahme ein „Bild vom Tod“ machen können.

Drei aus Tübingen
Über den Besuch aus Tübingen haben wir uns sehr gefreut: Felix Reer, Anne Ulrich und Klaus Sachs-Hombach (v.l.)

Bilder geraten über unsere Wahrnehmung schnell in das Unterbewusstsein und haben dort die Fähigkeit, Affekte und Impulse auszulösen. Selbst wenn diese Wahrnehmung durch eine bewusste Auswahl und Bearbeitung der Vorlage getäuscht wird, wirkt die emotionale Reaktion auf das Gesehene schneller und intensiver als die kognitive Verabeitung. Fotografien werden gezielt ausgewählt, bearbeitet und gestaltet. Objektpositionen werden verändert, Blicke werden gelenkt, die Bildaussage in den Vordergrund gerückt. Als weiteres Beispiel wurde die bekannteste Aufnahme aus dem Vietnam-Krieg der 70er-Jahre verwendet: Die Fotografie „Napalm Bomb Attack“, welche das nackte, panisch fliehende vietnamesische Mädchen Phan Thị Kim Phúc im Mittelpunkt des Bildes und der Aufmerksamkeit zeigt. Im Vergleich zur Originalaufnahme wurde für die Veröffentlichung jedoch ein anderer Ausschnitt verwendet, der das Mädchen in das Zentrum der Aufnahme rückte und weitere Personen auf der rechten Bildseite nicht mehr zeigte. Alles, was die Fokussierung auf die Hauptprotagonistin als Symbol für das Entsetzen, das Ausgeliefertsein und die Flucht vor der Grausamkeit dieses Krieges gestört hätte, wurde damit eliminiert. Elementarer Bestandteil der Bildwirkung sei hier auch die Mimik und die Gestik des Mädchens, welche selbst ohne Bezugnahme auf den Kontext der Szene recht deutlich Panik und Leid erkennen lassen, und somit die „negative“ Bildaussage unterstreichen. Der Kulturhistoriker Aby Warburg hatte 1905 bei einer wissenschaftlichen Untersuchung von bildhaft dargestellten Gebärden in Kunstwerken verschiedener Epochen den Begriff der „Pathosformel“ geprägt. Diese gehe von einer universellen Gültigkeit formelhafter Gestik und Gesichtsausdrücke aus, einem „Superlativ der Gebärdensprache“.

Anne Ulrich
Anne Ulrich beantwortet Fragen aus dem Publikum.

Im theoretischen Bezug zur Bildrezeption sei es wichtig, das Gesehene auch wahrnehmen und mit bekannten Erfahrungen abgleichen zu können. Automatismen in der Wahrnehmung helfen uns dabei in einfacher und positiver Weise, Bilder werden umgehend als Realität wahrgenommen. Dies führe zu schnelleren und sicheren Reaktionen auf gewonnene visuelle Eindrücke, wie z.B. Flucht oder Angriff. Bilder erhalten somit auch eine Appellfunktion zu einer Aktion oder Reaktion. Durch dieses „Abbild der Wirklichkeit“ glaubt der Mensch Bildern mehr als Worten. Dieser Appell kann, wie bei Aufnahmen, die Not und Elend darstellen, auch eine moralische Komponente bekommen. Unsere moralische Grundüberzeugung wird dadurch angesprochen und eine entsprechende Denkweise über die dargestellte Situation erzeugt. Auf diese Weise funktionieren auch Bilder, die zum Zwecke von positiver oder negativer Propaganda erstellt werden. Als Beleg hierfür diente ein Youtube-Video des britischen Journalisten John Cantlie, der nach zweijähriger Gefangenschaft beim Islamischen Staat (Gefangennahme 2012) und der aktiven Mitwirkung an Propaganda-Videos für den IS („Lend me your ears“, 2014) nun scheinbar frei und ungezwungen über ein aufblühend und friedvoll wirkendes Leben und Treiben in der irakischen Staat Mossul berichtet. Eine kritische Beurteilung, ob seine aktuelle Youtube-Berichterstattung journalistisch vollkommen unabhängig und neutral erfolgt oder nur eine bloße Fortführung der Propaganda ist, lässt sich in Anbetracht der vorangegangenen Instrumentalisierung durch den IS jedoch kaum vermeiden.

Text: Manfred Weichselbaumer; Fotos: Sandra von Halem