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Noch eine Frage bitte, Herr Menke

Manuel Menke über "Mediennostalgie in digitalen Öffentlichkeiten. Zum kollektiven Umgang mit Medien- und Gesellschaftswandel"

In Ihrem Buch Mediennostalgie in digitalen Öffentlichkeiten. Zum digitalen Umgang mit Medien- und Gesellschaftswandel sagen Sie, dass Nostalgie mehr ist als die Sehnsucht nach dem Vergangenen. Was meinen Sie damit?

Wenn man mit Menschen über Nostalgie redet, dann erinnern sie sich an ihre Vergangenheit und erzählen von besonderen Erlebnissen oder lieb gewonnenen Gegenständen aus ihrer Kindheit. In der wissenschaftlichen Literatur hingegen wird das Thema differenzierter betrachtet, denn Nostalgie hat viel weniger mit der Vergangenheit zu tun, als man intuitiv denken würde.

Nostalgie ist geknüpft an Erinnerungen, die wir nicht in unserem Gehirn abgespeichert haben, sondern die wir im Prozess des Erinnerns konstruieren. Man kennt das vielleicht, wenn man Geschichten aus der Kindheit erzählt und nicht mehr nachvollziehen kann, ob man sich daran erinnert oder ob man die Geschichte nur schon so oft von den Eltern erzählt bekommen hat, dass sie Teil der eigenen Erinnerung geworden ist. Das Entscheidende aber ist, dass Erinnerung immer situativ und abhängig von der Gegenwart konstruiert wird und kein festgeschriebener Inhalt ist. Unter diesen Bedingungen stellt sich nun die Frage, wie die Gegenwart unsere Erinnerungen prägt.

Wer sich also dafür interessiert, warum Menschen nostalgisch sind und wie sie dadurch ihre Vergangenheit erinnern, der sollte vielmehr in die Gegenwart schauen und herausfinden, was jemanden nostalgisch werden lässt. In meinem Buch ging es nun darum zu zeigen, dass Menschen, die in ihrem Alltag mit Medien- und Gesellschaftswandel konfrontiert sind, dadurch nostalgisch werden, dass sie von Veränderung herausgefordert sind und Wege suchen, damit umzugehen. Die Sehnsucht nach dem Vergangenen ist eine Antwort auf ein Unbehagen mit der Gegenwart und Nostalgie führt dazu, dass die Vergangenheit selektiv und romantisiert erinnert wird, weil das Gefühle von Sicherheit und emotionalem Wohlbefinden erzeugt. Nostalgie ist also eine Form des Umgangs mit Wandel und daher mehr als nur die Sehnsucht nach dem Vergangenen.

Und was genau verstehen Sie unter ‘Mediennostalgie’?

Der Begriff ‘Mediennostalgie’ spezifiziert erst einmal Nostalgie hinsichtlich der Bedeutung von Medien. In gegenwärtigen Gesellschaften spielen Medien eine wichtige Rolle in unserem Alltag, denn sie beeinflussen, wie wir miteinander kommunizieren, uns informieren und uns die Welt erschließen. Durch den medialen Wandel und die Digitalisierung hat diese Durchdringung des Alltags in den letzten Jahrzehnten weiter zugenommen und prägt nahezu alle Bereiche unseres Lebens. Medien- und Gesellschaftswandel bedingen sich also gegenseitig.

Wandelprozesse stellen aber für viele Menschen eine Herausforderung dar. So fühlen sie sich beispielsweise von der Menge an Nachrichten überfordert, empfinden medienvermittelte Beziehungen zu anderen Menschen als weniger authentisch oder halten bestimmte Fernsehprogramme für schlechter. Manche denken auch, dass Medientechnologie heute schwer zu bedienen oder schlicht charakterlos ist und dass Medien in Massenproduktion aus unästhetischen Materialien gefertigt sind. Diese emotionalen Erfahrungen mit Medien im Alltag führt dazu, dass Menschen sich nostalgisch an Medieninhalte, Medientechnologien und die Medienkultur ihrer Kindheit und Jugend erinnern, in der die kritisierten Aspekte vermeintlich besser waren.

Wichtig ist dabei aber zu beachten, dass Mediennostalgie kein individuelles Phänomen ist, weshalb im Buch hauptsächlich von kollektiver Mediennostalgie die Rede ist. Gemeint ist damit, dass der Medienwandel den Alltag vieler Menschen in ähnlicher Art und Weise verändert und das auch im gesellschaftlichen Diskurs thematisiert wird. Daraus folgt, dass Medienwandel von vielen Menschen im Bewusstsein gemeinsamer Betroffenheit wahrgenommen wird und Mediennostalgie dadurch eine Form des kollektiven Umgangs mit Wandel darstellt.

Welche Rolle spielen digitale Erinnerungsräume für die User jetzt und in Zukunft?

Digitale Erinnerungsräume sind deshalb von besonderer Bedeutung, weil dort Formen der Auseinandersetzung mit Vergangenheit möglich sind, die es in den traditionellen Räumen gesellschaftlichen Erinnerns nicht gibt. Öffentliches Erinnern hatte lange seinen Platz entweder in den Massenmedien, in Institutionen, wie Museen oder Schulen oder in Familien und Freundeskreisen. Doch nicht jeder hat zu allen diesen Ebenen von Öffentlichkeit gleichermaßen Zugang und kann dort Erinnerungen kommunizieren und verhandeln.

Im Internet hingegen ist die Schwelle zu partizipieren niedrig und man kann sich vergleichsweise einfach mit Gleichgesinnten austauschen. Besonders interessant ist dabei, dass es sich um Erinnerungen aus den Lebenswelten von Menschen handelt, die in den Massenmedien vergleichsweise selten aufgegriffen werden und nun aber Resonanz und Reichweite in digitalen Öffentlichkeiten erzeugen. Dadurch können die Erinnerungen von Normalbürgern besondere Relevanz und Aufmerksamkeit erzeugen.

Digitale Erinnerungsräume, wie beispielsweise die im Buch untersuchten Facebook-Gruppen, ermöglichen außerdem den kollektiven Umgang mit Medien- und Gesellschaftswandel. Die Basis dafür ist, dass dort bedeutungsvolle Beziehungen zwischen den aktiven Mitgliedern entstehen können und sich dadurch soziale Gemeinschaften entwickeln, die ihre Mitglieder unterstützen. Für die Zukunft muss sich zeigen, ob diese digitalen Erinnerungsräume auch Einfluss auf gesellschaftliches Erinnern auf anderen Ebenen von Öffentlichkeit entwickeln. Findet zum Beispiel das, was dort diskutiert wird, Eingang in die Massenmedien oder in Museen? Werden die Erinnerungen aus den Lebenswelten dieser Menschen ernst genommen und aufgegriffen? Die Empirie zumindest zeigt, dass viele Menschen ein Bedürfnis danach haben sich dort miteinander auszutauschen und die Vergangenheit auch in Zukunft ein wichtiger Bestandteil digitaler Kommunikation sein wird. In welcher Form sich digitale Erinnerungsräume im Zuge des Medienwandels weiterentwickeln, das bleibt abzuwarten.