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Noch eine Frage bitte, Herr Hommrich

Dirk Hommrich über sein Buch "Theatrum cerebri. Studien zur visuellen Kultur der populären Hirnforschung"

Wie sind Sie zu dem Thema Ihrer Studien in „Theatrum cerebri“ gekommen, deren Ergebnisse nun als Buch vorliegen?

Die Studien stecken ein Themenfeld ab, das sich durch meine Beschäftigung mit Fragestellungen aus den Bereichen Wissenschaftsforschung, Technik- und  Medien­philosophie sowie Kultur- und Wissenssoziologie ergeben hat. Ich wollte die Aufgeregtheit um die Hirnforschung sowie deren öffentliche Zudringlichkeit besser verstehen, sowohl die teils übertriebenen Geltungsansprüche als auch die einprägsamen Vereinfachungen, und – sozusagen in rezeptionsästhetischer Absicht – die Rolle von Visualität beim Neurohype und in der Wissenschaftskommunikation. Der Wissenschaftsjournalismus interessierte mich dabei vor allem als Medienpraxis, in der ein Zusammenspiel, eine Komplizenschaft aus interner und externer Wissenschaftskommunikation auf eine Weise organisiert, visualisiert und populär gemacht wird, die selbst nicht wissenschaftlich oder gar neutral, sondern vermachtet und parteiisch ist. Insbesondere trieb mich an, wie in solchen epistemischen Transformationszonen Hilfsvorstellungen vom Gehirn zustande kommen, die als soziale Tatsachen Wirklichkeitsmacht entfalten.
Dass ich mich in meiner Fallstudie ausführlich auf den Bildungsbereich und den Themenstrang ums lernende und vor allem das „selbstlernende“ Gehirn konzentriert habe, war pragmatischen Gründen geschuldet. Die These jedoch, dass sich mit den Neurowissenschaften eine Form ‚biologischer‘ Politik etabliert, in der auf das menschliche Nervenkostüm und aufs Humangehirn gerichtete, neurozentrierte Interventionsformen zunehmend das individuelle und kollektive Aufwachsen in der Gesellschaft bestimmen, war und ist gerade auch für das Gebiet von Bildung und Erziehung plausibel.

Es geht in Ihrem Buch auch um den Spagat zwischen Wissenschaftlichkeit und Alltagsnähe bei der populären Hirnforschung. Seit wann lässt sich dieses Phänomen beobachten und können Sie einige Beispiele dafür geben?

Das möglichst elegante Inszenieren von Wissenschaft zum Zweck der Verbreitung, Plausibilisierung und Akzeptanzbeschaffung reicht zurück bis in die Antike. Bei Hippokrates etwa ist die Darreichungsform des ärztlichen Rates eine Frage medizinischer Kunstfertigkeit und des rhetorischen Geschicks. Die rhetorische Verfasstheit von Wissen war also seit jeher zentral für die Vermischung von Wissenschaftlichkeit mit Alltagsnähe. Mich interessierten insbesondere die visuelle und die Bildrhetorik, die wiederum bei der Hirnforschung spätestens mit der historischen Phrenologie und der Lokalisationsthese virulent wurden. Die Idee, dass es Orte, Areale und korrelierende Funktionen des Gehirns gibt, die für bestimmte Aufgaben und Erfordernisse nicht zuletzt des Alltags zuständig sind, gepaart mit lebenspraktisch dargebotenen und (mehr oder minder) allgemein verständlich formulierten Wissensofferten, ist gewiss ein früher historischer Markstein der Vermischung von Wissenschaft mit Aspekten des täglichen Lebens. Allerdings kann man seit einigen Jahren bei diesem Mix eine Zunahme von gesellschaftlichen und Alltagsbezügen beobachten, was in Wort und Bild auf einen qualitativen Sprung hin zur Öffnung des Wissenschaftsjournalismus gegenüber dem Publikum und dessen praktischen Bedingungen und Herausforderungen hindeutet. Die Leserinnen und Leser werden dabei nicht mehr als eher passiv aufnehmendes, bloß rezipierendes Publikum adressiert, sondern zum Mitmachen und Mitwissen animiert – auch hinsichtlich der Hirnforschung und Neurowissenschaften.

Für Ihre Studie haben Sie unter anderem die Zeitschrift Gehirn & Geist untersucht. Warum erschien Ihnen gerade diese Zeitschrift als geeigneter Untersuchungsgegenstand?

Am Rande einer interdisziplinären Tagung hatte eine promovierte Neurobiologin und Psychologin die Gehirn & Geisteinmal flapsig als die „Bild“ und als „Illustrierte“ der Hirnforschung bezeichnet, also gewissermaßen als visuell imposantes „Schaufenster“ der Neurowissenschaften. Ich suchte daraufhin nach einschlägigen Studien über sogenannte ‚populärwissenschaftliche‘ Printmedien und fand, dass es für die Zeitschrift Spektrum der Wissenschaft, sozusagen der Mutterzeitschrift der Gehirn & Geist, bereits Vorarbeiten gab. Hieran anzuschließen und zugleich ein sich so titulierendes „Wissenschaftsmagazin“ genauer unter die Lupe zu nehmen, das im deutschsprachigen Raum als einzige Publikumszeitschrift mit der Hirnforschung im (Unter-)Titel geworben hat und die journalistische Popularisierung neurowissenschaftlicher Forschung zum Programm macht, schien mir aufschlussreich.
Außerdem betont und thematisiert die Zeitschrift ganz besonders die gesellschaftliche Relevanz der Hirnforschung. Sie führt – unter dezidierter Einbeziehung des Publikums – einen Diskurs, in dem es nicht zuletzt um die Bewertung, Einschätzung und Aushandlung dessen geht, wie man sich ‚gemeinhin‘ diese Wissenschaft, den Stand der Forschung, neurotechnische Möglichkeiten oder auch neurowissenschaftliche Gegenstände vorstellt. Diese immer auch normative Kontextualisierung geschieht aber nicht in, sondern neben der Wissenschaft. Daher habe ich exemplarisch die Gehirn & Geist als Probematerial für das herangezogen, was man „populäre Hirnforschung“ nennen kann und was man nach meinem Dafürhalten nicht nur sprachlich und textuell betrachten, sondern mithin bildlich ko-konstituiert denken sollte: die visuelle Inszenierung von Wissenschaft zum Zwecke ihrer Verbreitung und Bekanntmachung.

Sie sprechen in Ihrem Buch von einem regelrechten „Bilderrausch“ der populären Hirnforschung. Würden Sie das kurz erläutern?

Die freie Sicht auf das Gehirn ist nichts wirklich Neues und im Vergleich zu bildstarken Inszenierungen anderer Wissenssparten wenig spektakulär. Bereits Trepanationen (operative Schädelöffnungen), die schon früh in der Menschheitsgeschichte vorkamen, oder auch schlicht Schädelverletzungen haben das Kopfinnere sichtbar gemacht. Am öffentlich-medialen Gebrauch von Tomogrammen der funktionellen Hirnbildgebung hat mich die Behauptung interessiert, dass heute mit Imaging-Technologien angeblich demonstriert werden könne, dass das Gewebe des Gehirns nicht allein Stoffliches prozessiert, sondern Bewusstsein, Ich-Identität und Denken hervorbringt. Ich teile die Diagnose von Arbeiten aus der Wissenschafts-, Technik- und Medienforschung, dass Hirnbilder gerade auf der öffentlichen Bühne mithin zudringliche Suggestionen, beispielsweise Behauptungen über Verhaltensursachen und Handlungsgründe transportieren können und daneben nicht selten quasi wie eine Bildmarke auf Neurowissenschaft als ‚cutting edge science‘ verweisen. Ich würde allerdings ergänzen, dass Tomografien wie ikonische Darstellungen des Humangehirns als Leitbild für eine sich zunehmend als szientifischer und mithin szientistischer Lösungsweg für soziale Fragen empfehlende Neurowissenschaft figurieren – und möchte weiterführend zu bedenken geben, dass sich abseits des mittlerweile typischen Hirnbilds zudem immer auch andere Bildtypen im Diskurs der populären Hirnforschung finden, zumindest im Fall der Gehirn & Geist. Manche dieser nicht-wissenschaftlichen Bildtypen sind informativ, manche plakativ, andere eher subtil und unscheinbar.
Dass ich dennoch im Zusammenhang mit der Gehirn & Geist von einem Bilderrausch spreche, liegt zum einen daran, dass sie eine umfassende Vielfalt unterschiedlicher visueller Chiffren nutzt. Zum anderen hatte die Zeitschrift gegen Ende des Untersuchungszeitraumes eigens eine Rubrik namens „Blickfang“ eingeführt, in der visuelle Artefakte jüngerer Imaging-Technologien, bizarre Bilder, die ein wenig wie Bilderrätsel wirken, oder Bildausschnitte großformatig inszeniert wurden. Der Bilderrausch, wie ich diese Vokabel benutze, ist also ein doppelter: es geht erstens generell um den imposanten Bilderreichtum der Gehirn & Geist und zweitens sowohl um die (inter-)piktorialen Neuerungen als auch die Zunahme der Bildervielfalt der Zeitschrift über die Zeit. Letztlich rührt meine Rede vom Bilderrausch allerdings ebenso daher, dass ich auch nach dem Ende des Neurohype der 2000er und 2010er-Jahre auf die theorie- und fast schon wissenschaftspolitischen Implikationen der neurowissenschaftlichen Provokation gegenüber den hermeneutischen Wissenschaften hinweisen möchte – und auf die fundamentale Rolle, die Bildwelten und  technoimaginäre Visualisierungen bei den populären Wissensofferten zur Hirnforschung gespielt haben und auch weiter spielen werden.