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Noch eine Frage bitte, Frau Wiedenmann

Nicole Wiedenmann über ihre Neuerscheinung "Revolutionsfotografie im 20. Jahrhundert. Zwischen Dokumentation, Agitation und Memoration"

Bei Revolutionen denkt man zuerst einmal an linke Bewegungen. In Ihrem Buch kommen aber auch Hitler und Mussolini vor.

Auch wenn Revolutionen im allgemeinen Bewusstsein eher mit dem Handlungsspektrum ‚linker’ Strömungen assoziiert werden, zeigen einige Beispiele aus der Geschichte, dass einzelne Revolutionen den Kategorien von ‚links‘ und ‚rechts‘ nicht eindeutig zugeordnet werden können. So beispielsweise bei der Wende in den ehemaligen Staaten des Ostblocks ab 1989, die einerseits als liberal-fortschrittlicher Akt gedeutet werden kann, der ganz in der Tradition der Französischen Revolution zur Durchsetzung bürgerlicher Freiheitsrechte führte. Gemessen an schematischen Links-Rechts-Kategorien kann dies jedoch andererseits auch als Rückkehr zu den von sozialistischen Prozessen dereinst überwundenen Gesellschaftszuständen, mithin als ‚Konterrevolution‘ interpretiert werden. Auch die Nationalsozialisten haben ihre Machtübernahme durchaus als Revolution verstanden und als solche proklamiert. Hitler sprach von der Notwendigkeit einer ‚nationalen Revolution‘. Er benötigte den Begriff der Revolution, um seine diktatorische Vorgehensweise zu legitimieren und um deren repressive Ideologie durchzusetzen – also als Selbstlegitimierungsstrategie.

Sie gehen davon aus, dass Fotografien selbst einen Anteil an revolutionären Prozessen haben. Können Sie hierfür Beispiele nennen?

Fotografien von Revolutionen beeinflussen die kollektiven Imaginationen und mythischen Vorstellungen von der Revolution, die dann wieder Einfluss nehmen auf die Agitation der Akteure selbst. So können Zeitungsfotos von aktuell revoltierenden Massen weitere revolutionäre Akteure mobilisieren – das liegt ja auch nahe. Aber der Einfluss der Fotografie auf die Revolution geht sogar noch weiter, nämlich in dem Sinne, dass Fotos Skripte liefern, wie Revolutionen auszusehen haben. So zeigen beispielsweise Bilder und Fotos von vergangenen Revolutionen häufig den Akt der Zerstörung ‚alter‘ Insignien durch die Revolutionäre: Fahnen und Porträts werden verbrannt, Denkmäler gestürzt, Gebäude geschleift. Die Revolution ‚frisst‘ das Alte und schafft Platz für Neues. Solche Aktionen werden dann als schlichtweg ‚revolutionäre Handlungen‘ verstanden, die daraufhin in den folgenden Revolutionen immer wieder auf der Handlungsebene reaktualisiert und als Sujet in den Bildmedien reproduziert werden.

Auf welche Theorien oder Ansätze beziehen Sie sich in Ihrer umfangreichen Studie?

Ein Großteil der Studie beruht auf diskurstheoretischen und -analytischen Ansätzen. Nicht nur in Bezug auf die Sprache, sondern auch im Sinne von Bilddiskursen. Aber ebenso kommen auch bild- sowie fotografietheoretische, gedächtnistheoretische und performative Ansätze zum Tragen. Insgesamt wird versucht, Theorien und Bildanalysen in einen Dialog eintreten zu lassen, der wechselseitige Einblicke in die Funktionen und Nutzungen von Fotografien in revolutionären Kontexten und in die sie vorbereitenden, flankierenden und reflektierenden Diskurse ermöglicht.