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“Es gibt keine Filme mehr”

Unser Autor Dr. Rolf Giesen sprach bei den Kölner Mediengesprächen über den Wandel und die mögliche Zukunft des Filmemachens. Sein im August erscheinendes Buch "Der Angriff der Zukunft auf die Gegenwart" widmet sich genau diesen Themen.

»Es gibt keine Filme mehr«, sagt Dr. Rolf Giesen, Autor des im August im Herbert von Halem Verlag erscheinenden Bandes Der Angriff der Zukunft auf die Gegenwart am 13. Juni bei den Kölner Mediengesprächen. Wer erst kürzlich im Kino die neuesten Blockbuster wie etwa The Avengers: Infinity War oder Jurassic World: Das gefallene Königreich gesehen hat, mag ihm intuitiv widersprechen wollen. Es wird allerdings schnell klar, was Giesen meint: Natürlich gibt es weiterhin ›Filme‹ im Sinne von bewegten Bildern, die bestimmte Inhalte transportieren und die man sich beispielsweise im Kino ansehen kann. Verschwunden oder zumindest stark im Rückzug begriffen ist indes der Film als physischer Datenträger, den man schneiden, belichten und in Filmdosen aufbewahren kann. All diese Dinge geschehen nur noch digital oder, um den von Rolf Giesen favorisierten Ausdruck zu verwenden, virtuell. Und dieser Trend setzt sich weiter fort. Es ist, so Giesen, die Zukunft, die ihre Fühler bereits heute in die Gegenwart streckt. Der Film ist heutzutage nicht länger physisch vorhanden sondern nur noch als Ansammlung digitaler Daten. Diese digitalisierten Bilder vergleicht Rolf Giesen mit den ›Geisterbildern‹ von Stephan Kaspar Robertson: Dieser projizierte im 18. Jahrhundert mit einer Art frühem Diaprojektor vermeintliche Gespenster und andere Schattenbilder auf die Wände alter Gemäuer, um seinem Publikum ein schauriges Vergnügen zu bereiten. Auch den chinesischen Begriff für ›Film‹, der wörtlich ins Deutsche übersetzt ›elektronische Schatten‹ bedeutet, hält Giesen heute mehr denn je für eine akkurate Bezeichnung.

Diese zunehmende Digitalisierung des Films bringt für Filmschaffende große Probleme mit sich. Deutschland, ja ganz Europa, hinkt in Sachen Film der internationalen Konkurrenz sehr weit hinterher, da man beispielsweise in den USA aber auch in vielen asiatischen Ländern die neuen digitalen Möglichkeiten deutlich geschickter zu nutzen weiß. So hat es Europa etwa gänzlich versäumt, eine eigene relevante Plattform für Online-Videos zu schaffen und nutzt wie selbstverständlich das aus den USA stammende YouTube. China kann dagegen mit einer eigenen Videoplattform – Youku – aufwarten und hat daher auf diesem Gebiet einen Vorsprung gegenüber Europa. Ein weiteres Problem ist die zunehmende ›Demokratisierung‹ der Produktionsmittel. Durch die zunehmende Digitalisierung ist es Amateuren immer mehr möglich, auf dieselben Technologien zuzugreifen, die auch die Profis nutzen. Das mag auf den ersten Blick wie ein Segen wirken, aber es stellt professionelle Filmschaffende vor Probleme: Sie müssen mehr und mehr mit den Amateuren konkurrieren. Die gesteigerte Zugänglichkeit der Technologie sorgt für ein breiteres Angebot an Filmen, allerdings nicht notwendigerweise für gesteigerte Qualität. Schon jetzt sind Tausende kreative Filmschaffende arbeitslos. Auch die ethischen Aspekte des Films geraten immer mehr aus dem Blick.

Schon in den 1990er-Jahren wurde diskutiert, ob Filme als Vorlagen für Terroristen dienen können. In Deutschland vereitelten zum Beispiel die Protagonisten der Serie Helicops häufig Terroranschläge. Während man sich in Deutschland sicher war, dass solche Filme und Serien nicht wirklich Inspirationen für reale Verbrechen liefern können, hielt man dies in den USA zumindest für möglich. In Hamburg wurde im Herbst 2001 ein Werbespot für die Auskunfts-Hotline 11-88-0 gesendet, in dem ein Passagierflugzeug geradewegs durch ein Hochhaus, an dessen Fassade groß die Nummer der Hotline prangte, hindurch flog. Die Botschaft: Man kann unter der Nummer 11-88-0 nun auch Informationen zu Flugplänen erhalten. Dass die Inhalte des Spots den Zuschauer verstören könnten, kam den Machern nicht in den Sinn. Man hielt den Spot einfach für eine werbewirksame, ›heiße‹ Idee – bis einen Tag nach der Erstausstrahlung, am 11. September, zwei Flugzeuge von Terroristen in die Türme des World Trade Centers gesteuert wurden. Der Spot wurde umgehend von allen Sendern genommen, eine Übersendung in die USA konnte gerade rechtzeitig verhindert werden.

Wie wird sich das Filmemachen angesichts der zunehmenden Dominanz des Digitalen also entwickeln? Wie wird die Zukunft aussehen, die sich dem Titel von Rolf Giesens Buch zufolge bereits mitten im Angriff auf die Gegenwart befindet? Das nächste logische Ziel für Filmemacher müsse es sein, Ihre Bilder direkt in das menschliche Gehirn zu übertragen – mittels eines ›Brain-Computer-Interfaces‹. Bereits heute arbeiten Filmschaffende in den USA mit Neurologen, Psychologen und anderen Wissenschaftlern zusammen, um deren Erkenntnisse für sich zu nutzen. Auch hier kann Europa nicht mithalten. Die Beherrschung der digitalen Technologien wird, so sieht es Giesen, zur wichtigsten Eigenschaft der künftigen Filmschaffenden werden – noch vor Kreativität oder gar sozialer Verantwortung. Die Weichen dafür stellen wir bereits heute.