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Axel Block – Interview zum Thema Filmlicht

Axel Block (Jg. 1947) ist ein deutscher Kameramann. Seit 1974 wirkte Block als Kameramann bei mehr als 100 Kino- und Fernsehproduktionen mit, darüber hinaus lehrte er Bildgestaltung an verschiedenen Filmhochschulen. Von 1997 bis 2015 war er Professor im Bereich „Angewandte Bildästhetik“ an der Hochschule für Fernsehen und Film München (HFF München).

Zusammenarbeit mit:

Peter Adam; Hartmut Bitomsky; Thomas Brasch; Heinrich Breloer; Peter F. Bringmann; Herbert Brödl; Franziska Buch; Wolfgang Büld; Doris Dörrie; Ingemo Engström; Harun Farocki; Hajo Gies; Martin Gies; Dagmar Hirtz; Ilse Hofmann; Uwe Janson; Dietmar Klein; Gabi Kubach; Jeanine Meerapfel; Reinhard Münster; Marco Petry; Leidulv Risan; Bernhard Sinkel; Kadir Sözen; Burkhard Steger; Ula Stöckl; Rolf von Sydow; Maria Theresia Wagner; Sharon von Wietersheim; Helmut Wietz; Margarethe von Trotta.

Wichtige Filme:

Ich bin die Andere; Bibi Blocksberg II; Die Klasse von ’99; Unsere Mutter ist halt anders; Aufforderung zum Tanz; Die Welt in jenem Sommer; Highway 40 West; Danni; Tatort; Schlaf der Vernunft; Flucht in den Norden; Betrogen; Zabou; Pseudo; La Amiga; Der achte Tag; Go Trabi Go; Der Passagier; Der Kinoerzähler; The Sunset Boys; Einmal Macht und zurück; Schimanski; Im Inneren des Wals; Schule; Bella Block; Gott ist tot; Die abhandene Welt.

Preise/Auszeichnungen:

Deutscher Kamerapreis 1984 (Förderpreis Spielfilm); Festival de Cine Argentino Premio Lucas Demare a la Mejor Fotografia 1989; Bundesfilmpreis 1990; Bayerischer Filmpreis 1990; Deutscher Kamerapreis 2011 (Ehrenpreis Lebenswerk).


Glauben Sie, dass Sie einen eigenen Stil haben?

Ich glaube, dass das, was man in einem Film macht, eine gewisse Unverwechselbarkeit hat. Es ist natürlich abhängig vom jeweiligen Film, von der Inszenierung und vom Thema, aber ich bin der Meinung, dass man sehen kann, wer es gemacht hat, zwar nicht Einstellung für Einstellung, aber doch insgesamt. Ich erkenne schon, ob ich eine Sache gedreht habe oder nicht.

Wahrscheinlich möchte jeder Kameramann einen eigenen Stil haben, als Identifizierungsmerkmal für sich selbst und andere. Es würde mich auch interessieren, wieweit man diese Stilkriterien von außen nachvollziehen kann.

Woran erkennen Sie Ihre eigenen Filme?

Es sind zwei verschiedene Aspekte, mit denen man als Kameramann zu tun hat: Da ist einmal die optische Seite, die bei uns dem Kameramann mehr überlassen wird als beispielsweise in Amerika.

„Optisch“ heißt hier Kadrierung,1 Bildgestaltung?

Ja, Kadrierung, bis hin zur optischen Auflösung. Es gibt viele Regisseure, die vom Theater kommen oder mehr auch Autoren sind und daher auch mehr mit Schauspielern arbeiten. Die ganze Szene wird durchgestellt und die optische Auflösung dann fast vollständig dem Kameramann überlassen. Das ist nicht unbedingt eine Freiheit, denn dahinter steht eine bestimmte Erwartung: Man soll die Schauspieler immer möglichst gut erkennen. Ich kenne wenige Regisseure, die von bestimmten Einstellungen ausgehen. Damit meine ich nicht bestimmte Bilder, sondern das Denken von Einstellung zu Einstellung und das Arbeiten danach. In der Regel wird die Szene durchgestellt und dann optisch aufgelöst, mehr in der Mastershot-Technik,2 als dass man chronologisch dreht. Dadurch hat man als Kameramann die Möglichkeit, die Kadrage in Absprache weitgehend zu bestimmen – sicher mehr als im amerikanischen Film, vermute ich. Häufig heißt das auch, dass der Kameramann die Kameraposition, den Bildausschnitt beziehungsweise die Einstellungsgröße festlegt. Es gibt Leute, die ambitionierter und Leute, die weniger ambitioniert vorgehen. Ich meine das jetzt nicht wertend, denn auch eine ambitionierte Kameraarbeit kann etwas herausarbeiten, was für den Film nicht gut ist.

Meinen Sie, dass Sie eher von der Kadrage her zu erkennen sind als vom Licht?

Es gibt Einstellungen, die eine Sichtweise haben, mit der ich mehr anfangen kann. Das sind Einstellungen, die die Augenhöhe verlassen. Das ist manchmal eine Einstellung, die die Vorgänge interpretiert und der Handlung widerspricht. Ich denke, dass es manchmal besser ist, in einem spannenden Moment wegzugehen als ranzuspringen. Es gibt Situationen, in denen es besser ist, weniger zu sehen als mehr. Es ist oft spannender, wenn man mehr hätte sehen wollen, als wenn man zu viel gesehen hat.

Wenden Sie das auf die Lichtgestaltung auch an?

Das lässt sich auch auf das Licht übertragen. Ich denke aber, dass die Lichtsituation, die ich an einem Originalmotiv vorfinde, oft sehr viel besser ist als die, die man mit geringem Aufwand herstellen kann. Wenn man in diesem Raum beispielsweise zwei, drei Scheinwerfer anmacht, ist sehr viel von der Stimmung kaputt. Ich arbeite gern mit dem, was da ist, wobei das, was da ist, ja auch herstellbar ist. Dass hier eine Lampe brennt und dort eine brennt, muss ja kein Zufall sein, man kann den Raum so einrichten. Man kann Vorhänge vorziehen oder offenlassen, man kann eine Tür schließen oder öffnen, man kann im Nebenraum Licht einschalten und so weiter. Ich arbeite also mit den Lichtquellen, die da sind und mit denen man auch umgehen kann. Manchmal geht es nicht, weil die vorgefundene Lichtsituation für die Szene, die gedreht werden soll, falsch wäre. Wenn das Originallicht nicht ausreichend oder richtig ist, bedeutet das viel Aufwand. Es gibt aber auch immer eine gewisse Anzahl von Szenen, die sehr flexibel sind für die Lichtsituation. Sie haben keine emotionale Qualität, es werden Informationen weitergegeben.

An was für Szenen denken Sie?

Das sind Szenen, in denen der Lauf der Story weitergebracht wird, und die vom Buch oder der Inszenierung keine weitere Qualität bekommen. Die Tür geht auf, jemand kommt rein, fragt drei Sätze, bekommt drei Sätze zur Antwort, geht wieder, und der Zuschauer weiß mehr. Das sind Szenen, die vielleicht in Büros spielen oder in Räumlichkeiten, bei denen man die Lichtsituationen kennt, man weiß, wie die aussehen. Wenn man in diesen Räumen etwas anderes machen will als das Bekannte, ist das ein großer Aufwand. Ich glaube auch, ein solches Zerstören der bekannten Situation würde oft nur eine Aufmerksamkeit erregen, die der Szene in keinster Weise angemessen ist. In einem solchen Fall finde ich es besser, mit dem umzugehen, was man dort vorfindet. Wir sind ja heute in der glücklichen oder unglücklichen Situation, dass man fast immer drehen kann, ohne dass es vom technischen Standpunkt her Schwierigkeiten gibt. Die Optiken und Filme lassen das zu. Wenn man dann mit dem Licht gestaltet, soll man es nicht aus Konvention tun, sondern aus Überlegung.

Man kann die Kameraleute in zwei Gruppen einteilen: Die einen, die von der Nouvelle Vague her kommen und die mehr mit weichem, indirektem Licht arbeiten. Die anderen arbeiten eher direkt und leuchten mit Stufenlinsenscheinwerfern oder kleinen Einheiten ein Bild pointillistisch aus. Können Sie sich einer der beiden Richtungen zuordnen?

Ja, eindeutig der ersten Richtung. Ich kenne heute nur noch ganz wenige Beispiele für den zweiten Stil – der zeitlich gesehen eigentlich der Erste war – die mich beeindrucken.

An wen denken Sie da?

In Deutschland an Gernot Roll. Den schätze ich sehr, er arbeitet ganz anders, als ich es machen würde. Ich sehe bei ihm immer etwas von einer Besessenheit, die mich fasziniert und interessiert. Viele Kameramänner dieser zweiten Gruppe arbeiten aber so, als wollten sie einem handwerklichen Anspruch genügen. Das ist mir dann einfach zu wenig. Dieser Stil hat mittlerweile einen Grad an künstlich hergestellter Zufälligkeit erreicht, der kaum noch zu übertreffen ist. Er interessiert mich, weil er nicht mit dem Gestus „Schaut mal, was wir Tolles gemacht haben!“ daherkommt.

Wie sieht das aus, wenn Sie schwarz-weiß fotografieren? Dann ist doch der zweite Stil geeigneter?

Das hab’ ich auch gedacht, und so habe ich Schlaf der Vernunft fotografiert. Ich habe das sehr kontrastreich und direkt ausgeleuchtet. Ich glaube aber, dass man heute mit Schwarz-Weiß anders arbeiten kann, als man es lange getan hat.

Was würden Sie anders machen?

Ein besonders großer Kontrast in einem Bild hat nichts damit zu tun, ob man mit gerichteten oder diffusen Lichtquellen arbeitet. Ich finde die Paarung „großer Kontrast und weiches Licht“ spannender als das, was man sofort erwartet, wenn man von einem großen Kontrast spricht: Man denkt sofort an scharfe Schattenkonturen. Ich habe 1988 einen kleinen, unabhängigen 16-mm-Film in Schwarz-Weiß gemacht, fast nur Studioaufnahmen, mit sehr wenig Geld. Ich habe die Szenen fast nur indirekt ausgeleuchtet. Der Kontrast ist genauso stark wie in Schlaf der Vernunft. Der Film heißt Pseudo. Ein kleines Fernsehspiel. Die Arbeit hat mir großen Spaß gemacht. Ohne die beiden Filme jetzt gegeneinander abwägen zu wollen, würde ich bei künftigen Schwarz-Weiß-Filmen wieder mit indirektem Licht arbeiten, wie bei Pseudo.

Was haben Sie inhaltlich bei Pseudo mit dem Stil verbunden?

Da wir den Film fast ganz im Studio gedreht haben, hat es mich interessiert, ob man es mit Schwarz-Weiß schafft, so zu arbeiten, dass dieses Studio nicht als Studio hervortritt – ob man Lichtsituationen herstellen kann, die man mehr außerhalb von Studios erwartet. Es war natürlich auch ein technisches Interesse, aber das braucht ja einer inhaltlichen oder dramaturgischen Betrachtung nicht entgegenzustehen. Die Frage, ob man eine Szene hell oder dunkel macht, ob man mit großen oder geringen Kontrasten arbeitet – also Überlegungen, die mehr von der Szene oder vom Stil eines Films ausgehen – haben weniger damit zu tun, ob man mit diffusen oder gerichteten Lichtquellen arbeitet.

Die Frage war, ob es einen direkten inhaltlichen Anspruch gegeben hat.

Das war ein Stoff, den man als Fünfzigerjahre-Stoff hätte ansehen können. Ich finde es uninteressant, wenn man sagt: Aha, Fünfzigerjahre, dann soll er auch so aussehen, als hätte man ihn damals gedreht. So wie einige Leute denken, wenn man einen Film über einen Maler macht, dann müsste der auch so aussehen, als hätte der Maler den Film gemacht. Das sind Schnellschuss-Überlegungen.

Ist es so, dass Sie sagen: Im Rahmen der dramaturgischen Möglichkeiten entwickle ich meinen Stil weiter und probiere Dinge aus?

Ja, das Ausprobieren kann natürlich auch eine Leidenschaft werden. Bei Schlaf der Vernunft war es so. Ich habe mich dafür begeistert, etwas Neues auszuprobieren – da noch einen Trick vorzuführen, hier noch ein bisschen flackern zu lassen. Da kann man sich sehr schnell von einem Film entfernen.

Können Sie ein konkretes Beispiel nennen?

Erstmal war es das grundsätzliche Erscheinungsbild des Films, wir haben das Gamma sehr stark angehoben. Die ersten Tests, die ich nach Jahren wieder mit Schwarz-Weiß gemacht habe, fand ich einfach zu langweilig. Es sah aus, wie man Schwarz-Weiß kannte, mit all seinen Vorteilen: Man macht eine Aufnahme von irgendetwas, und nur weil es Schwarz-Weiß ist, ist es schon irgendwie gut und alle sind begeistert. Dieses schon hundertmal gesehene Schwarz-Weiß-Bild hat mich nicht mehr gefesselt. Deswegen haben wir mit dem Gammawert experimentiert, ihn sehr stark angehoben. Irritiert hat mich bei den Tests eine Brillanz – selbst bei großen Überstrahlungen waren alle Konturen ganz scharf da. Bei einem Fenster sah das Fensterkreuz wie mit dem Lineal gezogen aus. Das – in Verbindung mit dem Schwarz-Weiß – schien mir so fahl zu sein, auch wenn der Kontrast da war. Die Überstrahlungen, die ich erreichen wollte, um einen möglichst großen Kontrast zu haben, waren aber keine Überstrahlungen im Sinne von Strahlen, sondern nur helle Flächen mit scharfen Konturen. Deshalb habe ich die Objektive durch Low-Contrast-Filter verschlechtert. Der Filter verwischte die Konturen. Der Kontrast wurde aber durch die Anhebung des Gammas wieder erhöht, und die schwarzen Bildanteile wurden tiefschwarz gehalten. Mit dem Low-Contrast-Filter allein wäre es eine flache, milchige Soße geworden.

Die Lichter wären da gewesen, aber keine Schatten mehr.

Ja, das Schwarz hätte gefehlt. Durch dieses Verfahren hatten wir dann diese gewünschten Überstrahlungen.

Die Mitteltöne haben sicher gefehlt?

Klar, wenn man eine steilere Gradation hat, sind die Mitteltöne nicht so differenziert. Bei den Hauttönen musste man schon ziemlich aufpassen, dass die nicht weiß wurden, ausgenommen in den Szenen, in denen das gewünscht war. Es war immer eine Mischung zwischen diffusem Licht und scharf konturierten Lichtquellen, die die Überstrahlungen erzeugt haben. Wenn ich mal einen tollkühnen Vergleich wagen darf: Es war eine Umkehrung dessen, was Eugen Schüfftan in dem Max-Ophüls-Film Ohne einen Morgen gemacht hat. Zumindest sehe ich das so. Wenn die Frage nach Vorbildern kommt, dies wäre eins. Schüfftan setzt in diesem Film die Normalbelichtung nie auf den Gesichtern an – die sind immer unterbelichtet, liegen im Schatten. Auf den Kleidern, auf den Möbeln gibt es immer Bereiche, die richtig belichtet sind, aber die Personen selbst bewegen sich im Gedämpften bis Dunkeln, ohne dass er aber auf Bereiche der normalen Belichtung verzichtet. Ich habe das insofern verschoben, als dass ich die Gesichter oft im Normalbereich gelassen und demgegenüber Bereiche von extremer Überstrahlung gesetzt habe.

Wieweit konnte der Regisseur das im Vorfeld nachvollziehen?

Ich habe Tests gemacht, die wir gemeinsam – die Regisseurin Ula Stöckl, einige der Schauspieler und ich – angeschaut haben. Es ist natürlich schwer, das nur rein theoretisch zu besprechen.

Wieweit hat für Sie die logische Lichtführung von Hilmar Mehnert Gültigkeit?

Da ich sehr stark mit den vorgefundenen Lichtquellen arbeite, ist das für mich kein großes Problem. Heutzutage ist das Primat nicht mehr so sehr die Art von Schönheit wie noch in den Fünfziger- oder Sechzigerjahren, als noch viel mit direktem Licht gearbeitet wurde. Ich kenne auch die Interviews mit alten Kameraleuten, die immer gesagt haben, sie würden streng logisch ausleuchten. Wenn rechts das Fenster war, dann kam natürlich das Führungslicht von rechts und so weiter. Schaut man sich aber die Filme an, dann merkt man, dass das so konsequent von vorn bis hinten auch nicht stimmt. Beispielsweise kommt zwar der Scheinwerfer durch das Fenster, fällt aber nur auf den Hintergrund. Das Gesicht wird von der anderen Seite her beleuchtet. Die Schönheit spielt wie gesagt heute nicht mehr so eine Rolle. Selbst bei Porträts hat sich das gewandelt, heute versucht man doch, mehr das Besondere, das Interessante herauszustellen als das klassisch Schöne. Auch die Werbung geht diesen Weg. Diese neue Art der Lichtführung stellt einen Gegensatz zur logischen Lichtführung dar. Gerald Millerson3 gibt in seinem Buch richtige Gebrauchsanweisungen dafür, wie man schattieren muss, damit ein Gesicht schön, d. h. möglichst eben ist, um eine Norm zu erfüllen. Davon ist man weg. Für mich heißt das nicht, dass man so ausleuchten soll, dass die Leute hässlich aussehen. Ich versuche, dies durch die Position zum Licht zu korrigieren. Im Freien ist das eher ein Problem, man hat sehr wenig Einfluss auf die Lichtquelle. Ich habe jetzt in Südamerika einige Male gedreht, wo man es oft mit der Sonne im Zenit zu tun hat. Unter diesem Licht sehen die Schauspieler furchtbar aus. Da kann man nur die Position zum Licht ändern oder Porträts außerhalb der Mittagszeit drehen.

Würden Sie in einer Großaufnahme ein anderes Licht setzen als in der vorausgegangenen Totalen?

Ich denke, man muss unter Umständen für die Großaufnahme ein völlig anderes Licht machen. Beispielsweise sitzt eine Person in einem dunklen Raum vor einer hellen Wand und ist mit einem Spot beleuchtet. In der Totalen wäre nur relativ wenig Fläche hell, die folgende Großaufnahme würde aber streng logisch genommen sehr hell sein. Das springt dem Zuschauer ins Auge, betont zu sehr den Schnitt. Damit dies nicht geschieht, müsste man in der Großaufnahme mit einem Schatten arbeiten, der in etwa die gleiche Hell-Dunkel-Verteilung bringt wie die Totale. Dies gilt auch für diffus ausgeleuchtete Szenen.

Wie setzen Sie Farbe ein? Nutzen Sie farbiges Licht dramaturgisch?

Nicht in dem Sinne, dass ich sage, „dieser Schauspieler wird immer rot angeleuchtet, dieser grün und der nächste gelb”, obwohl es diese Theorien gibt. Bei Farbe haben alle Angst. Fast vor jedem Film gibt es Diskussionen darüber, wie man möglichst farbentsättigt arbeiten kann. Einige erhoffen sich, dass man es mit einem Filter machen kann, bei anderen hat das eine größere Konsequenz, wie beispielsweise bei dem Film Der Passagier, bei dem die ganze Dekoration in Schwarz-Weiß war. Wir haben viel im Studio gedreht und hatten auch die Außenmotive, die Originalschauplätze, ganz gut im Griff. Wir haben auf einige Drehorte verzichtet, weil es dort nicht durchführbar war. In dem Film gibt es nur Schwarz-Weiß in Abstufungen und Rot. Es ist mit Farbe ziemlich bewusst umgegangen worden. Hier ist die Farbe von der Dekoration hergekommen. Die Farbentsättigung kommt vom Kopierwerk, mittlerweile hat man dort mehr Erfahrung. Farbiges Licht sehe ich eigentlich mehr an den Schauplatz gebunden. So wie Vittorio Storaro es eingesetzt hat, in dem Episodenfilm über New York4: In allen Außenszenen sind Aufnahmen der untergehenden Sonne mit Farbeffektfolien gestaltet worden – das hat wohl eher sportlichen Charakter.

Ich meinte es so, wie es in der Werbung eingesetzt wird, beispielsweise farbige Lichtsäume, die Räume wärmer erscheinen lassen.

Mehnert beschreibt auch dieses Geborgenheitsgefühl, es gibt psychologische Gutachten und Arbeitsplatz-Untersuchungen darüber, und den Gedanken will ich grundsätzlich nicht ablehnen. Oft ist der auch für die Lichtführung interessant, aber so konsequent habe ich das noch nicht durchgezogen. Es ist nicht nur eine Sache des Kameramannes. Es nutzt mir nichts, eine Szene warm auszuleuchten, wenn ich im Hintergrund drei grüne Buchrücken habe oder Farbflecken, die das alles wieder aufheben. Ich glaube eher, diese Vielfarbigkeit ist das, was unsere Filme ausmacht und letztlich auch farblich zerstört.

Sie sagten gerade, dass oft eine Diskussion über die Entsättigung von Farben vor dem Dreh einsetzt. Ist das der heimliche Wunsch, doch in Schwarz-Weiß zu drehen?

Meiner Meinung nach ist das ein Unbehagen darüber, dass man in vielen Filmen eine Inflation von Farben sieht.

Wählen Sie das Filmmaterial danach aus?

Das ist eine der Überlegungen. Wir sind allerdings nach jedem Materialtest überrascht, wie gering die Unterschiede zwischen den Filmen sind oder wie gut das Material ist, von dem wir dachten, es sei für diesen Film nicht so geeignet.

Ist die Farbentsättigung nicht auch eine Mode?

Alles ist natürlich auch modischen Strömungen unterworfen. Ich sehe aber eine andere Tendenz. Die Hersteller von Geräten und Filmmaterialien sind auf dem Weg, ein immer perfekteres Abbild dieser Welt zu erzeugen. Die Farbwiedergabe wird immer getreuer, die Auflösung wird immer besser, immer schärfer – man soll am Ende gar nicht mehr sehen, dass man auf einen Film schaut. Die Anwender aber machen genau das Gegenteil, die versuchen das, was die Industrie an Perfektionismus erzeugt hat, wieder zu zerstören. Filmmaterial wird forciert,5 es wird mit Farbentsättigung gearbeitet, die Kontraste werden so gewählt, dass die Objektive sie nicht wiedergeben können. Dies sind zwei gegenläufige Bewegungen, die erst möglich wurden, als die Technik einen bestimmten Stand erreicht hatte. Wenn ich mir Datenblätter von Kopierwerken und Filmherstellern ansehe und dann ästhetisch anerkannte Filme schaue, muss ich sagen, dass die das Gegenteil von dem gemacht haben, was der Hersteller empfiehlt.

Was sagt der Sender dazu?

Dadurch, dass die Filmabtaster besser geworden sind, hat sich das Verhältnis entkrampft. Das Problem ist aber, dass sich die Fernsehanstalten nicht für das Filmbild interessieren, sondern für den Oszillographen.6 Der deutlichste Ausdruck davon ist jetzt dieses Emblem, das einige Fernsehanstalten einblenden, und man den Eindruck hat, dass das Bild nur noch der Untergrund dafür ist. Das Filmbild selbst interessiert nur noch, wenn man Angst hat, dass Zuschauer anrufen könnten. Man führt keine ästhetische Auseinandersetzung, sondern eine messtechnische. Merkwürdigerweise wird aber das Ergebnis, das man dort vorführt, wieder akzeptiert, wenn man es als gewollt ausgibt. Unter Umständen muss die Fernsehansagerin nicht nur den Inhalt des Films erzählen, sondern auch noch sagen, dass das, was man zu sehen bekommt, Absicht ist. Als wenn es sonst zufällig wäre!

Wie gehen Sie vor, wenn Sie ein Set einleuchten?

Es gibt Sets, die sind schon so perfekt eingeleuchtet, da braucht man nichts mehr zu machen, man kann sofort drehen.

Sie greifen also natürliche Situationen auf?

Ja, das kann sein. Es kann aber auch sein, wie jetzt bei der Vorbereitung zum nächsten Film, bei dem einige Dekorationen groß sind, dass ich mich mit dem Architekten bespreche. Wo ist der Standort der Lampen? Lässt sich das Licht von vornherein in die Dekoration integrieren? Im Film Zabou war eine Industriestraße auszuleuchten. Dort hingen ungefähr 30 „Janebeams“ und „Pinzen“ im Bild.

Weichen Sie da von Ihrem Stil ab?

Nein, diese Lampen hängen im Bild, als wären sie tatsächliche Lichtquellen. Wir wollten eine beleuchtete Industriestraße zeigen, nicht eine unbeleuchtete. Die Straße selbst hatte keine Laternen. Daher war es für mich das Erste, dort Lichtquellen aufstellen zu lassen. In dem Fall waren es Filmleuchten, als Ersatz für Straßenlaternen. Der Rest danach war fast ein technischer Vorgang: eine gewisse Aufhellung ansetzen und Spitzen und Kanten anbringen.

Wie war es mit dem Licht in der Diskothek?

Da war es ähnlich. Wir haben mit dem Architekten Lichterbänder ausgewählt und an Wände und Säulen angebracht. Diese Bänder hatten 252 40-W-Glühbirnen und wurden über Dimmer geregelt, je nachdem, ob sie im Bild waren oder nur als Lichtquelle dienten. An klassischem Filmlicht – wie Inky, Pinza oder Janebeam – waren vielleicht drei Lampen im Einsatz.

Wie haben Sie sonst die Nachtaufnahmen gemacht?

Die Anforderungen waren schon extrem, wir brauchten ein Licht, bei dem wir möglichst frei drehen konnten. Für die Szene, in der das Auto von der Brücke herunterhängt, hatten wir auf einem Hochhaus eine Art Wendy-light, eine Eigenkonstruktion der Bavaria, stehen und haben von da aus das ganze Areal bestrahlt.

Was heißt „Wendy-light”?

Das Wendy-light besteht aus 48 janebeam-ähnlichen Brennern, die in einer Einheit sind. Das Schöne bei dem Film war, dass ich mit Lampen arbeiten konnte, an die man sonst nicht kommt. Ich musste dabei viel Vorarbeit leisten, rechnen, Datenblätter wälzen und so weiter, um den Lichtaufwand kalkulieren zu können.

Machen Sie das sonst nicht?

In der Regel hat man einen von einem Lampenverleih bestückten Lichtwagen dabei, fährt los und baut am Motiv auf. Bei einem Film dieser Größenordnung geht das nicht, weil man mit Vorbautrupps arbeitet, und weil noch eine Second Unitda ist, die parallel dreht. 30 Prozent meiner Tätigkeit war hierbei Management.

Welchen Einfluss gestehen Sie dem Regisseur auf das Licht zu?

Jeden.

Einer Ihrer Kollegen hat darauf geantwortet, dies sei der einzige Bereich, in dem er selbstständig kreativ arbeitet, in dem ihm fast keiner reinredet.

Das ist fast leider so, dass es kaum jemanden gibt, der reinredet. Wenn man mit mehreren Leuten zusammen einen Film macht, kann das nur gut sein, wenn man miteinander redet. Es ist aber schon klar, dass es auch verwässern kann.

Wenn die Regisseure aber etwas vom Licht verstehen, kann es nur gut sein für den Film. Ich bin immer dafür, dass alle Bescheid wissen. Ich mag das auch, wenn die Leute durch die Kamera schauen. Nur dadurch können sich alle vor Überraschungen bei den Mustern bewahren.

Es gibt aber wenige Regisseure, die zum Beispiel die Grundhelligkeit abschätzen können.

Das ist etwas anderes. Wenn jemand penetrant sagt: „Da hinten muss man noch ein Licht machen, man sieht ja nichts”, obwohl natürlich keins hinmuss – also so etwas Nerviges, was mit Wissen nichts zu tun hat – das ist klar. Aber ich rede ja auch manchmal in die Inszenierung mit rein. Bei Proben mache ich Vorschläge, aus der Sicht der Kamera heraus. Wenn ein Regisseur eine Sicht für das Licht hat, ist es nicht ausgeschlossen, dass er eine bessere Idee hat als der Kameramann.

Man kommt so vielleicht eher zu einer außergewöhnlichen Lösung, als wenn man es so macht, wie man es immer macht.

Das ist ein ganz wichtiger Aspekt, davon wegzukommen. Man steckt so tief in der Routine, dass ich immer dankbar bin für jede Art Hinweis oder Störung. Das ist für mich auch das größte Problem bei vielen deutschen Filmen, dass sie so beliebig sind und austauschbar, von der Erscheinung her.

Fehlt Ihnen da etwas Neues?

In Deutschland und Europa beobachte ich eine Entwicklung bei Kameraleuten, die zunächst sehr gut sind, dann aber auf diesem Stand stehen bleiben. Man kann bei uns sehr häufig an dem Film erkennen, wie alt etwa der Kameramann ist.

Ja?

Es kommt mir so vor. Wenn ich jetzt ein Exempel mache, stimmt es sicher nicht. Es ist aber mein Gefühl, mit dem ich oft richtigliege. Bei amerikanischen Filmen bin ich dagegen sehr häufig überrascht.

Weil er zu alt ist oder zu jung?

Sowohl als auch.

Woran meinen Sie, es in Deutschland zu erkennen?

Ich meine, dass Lichtgestaltung und optische Betrachtungsweisen einer Art Mode unterworfen sind, die die Kameraleute mitmachen. Wenn man anfängt, ist man auf dem Stand dieses neuesten ästhetischen Empfindens. Hat man damit Erfolg, riskiert man nicht mehr, etwas anderes zu machen, sondern bleibt dabei. Es kommen andere nach, die wieder etwas anderes machen, und man traut sich nicht, das nachzuvollziehen. Das Neue muss nicht immer gut sein, aber sich nicht weiterzuentwickeln, ist auch nicht gut.

Ist es denn nicht so, dass die Produzenten einen Kameramann auswählen nach dem, was er bisher gemacht hat? Dass sie den neuen Film in der Tradition der bisherigen Arbeit sehen?

Das habe ich noch nicht erlebt. Ich bin der Meinung, dass viele Leute nur sehr schwammig wissen, was die Stärken und die Schwächen eines Kameramannes, eines Maskenbildners, eines Architekten, ja sogar eines Regisseurs sind. Die wenigsten sagen: „Ach, die Art und Weise, wie der Licht setzt, ist genau das Richtige für meinen Film.” Man geht vielmehr nach Flüsterpropaganda: „Der ist schnell!” Oder man hat schon achtmal für die Produktion gearbeitet und wird zum neunten Mal genommen. Ein klassisches Beispiel für eine grandiose Fehlbesetzung ist meiner Meinung nach Der Name der Rose.

Warum?

Einem Regisseur, der versucht, so authentisch wie möglich zu sein, so als hätte man damals gedreht, dem kann man nicht einen Kameramann geben, der aus einer Studiotradition kommt und so dreht. Für den Regisseur wäre Alcott der Richtige gewesen, wenn er noch gelebt hätte. Ich habe selten einen Film gesehen, in dem Regie und Kamera so im Widerspruch zueinander standen.7

Der Film spielt doch im doppelten Sinne in einer lichtlosen Zeit. Es wird alles nur von Ölfunzeln beleuchtet.

Damit hat er aber nicht gearbeitet, sondern mit einem „Inky“ von dort, einem „Dachl“ hier, einer Kante von da. Ein klassisches Licht, ohne Frage ein sehr gekonntes Licht. Nicht, dass der Kameramann schlecht ist, ich finde nur, dass seine Arbeitsweise nicht zu dem Film passt.

Hätten Sie hier jemanden geeigneter gefunden, der von dem vorhandenen Licht ausgegangen wäre?

Ja, jemanden, der in dieser Richtung mehr gearbeitet hätte, nicht mit diesen Studioeffekten. Es ist schon schwer, das anders zu machen.

Was meinen Sie mit Studioeffekten?

Die klassische Ausleuchtung, Führung, Kante, Aufhellung, auch ein Fensterkreuz auf eine glatte Wand zu projizieren. Dazu gehört auch der Umgang mit Farbfolien, mit denen man eine warme Lichtquelle rötlich strahlen lassen kann.

Was hätten Sie anders gemacht?

Man hätte versuchen müssen, die Lichtquellen so zu präparieren, dass man mit denen hätte drehen können. Der Film ist ja nicht mit Laien gedreht, denen man mit der gewählten Art der Beleuchtung eine möglichst große Bewegungsfreiheit hätte geben müssen. Auch gibt der Stil ja keine Bewegungsfreiheit, wenn ich mit einem „Dachl“ von hier und einem „Kuki“ von da arbeite. Im Gegenteil, ich schränke den Raum des Darstellers stark ein.

Was heißt „Dachl”?

Abdeckblech. Wenn ich mit Lichtquellen arbeite, die präpariert sind, z.B. mit einer Öllampe, in der eine Filmlampe drin ist, dann muss der Schauspieler zwar aufpassen, dass man es nicht sieht, aber es erfordert nicht mehr Konzentration, als wenn er sich genau in einem Schatten oder Halbschatten bewegen müsste. Es ist mit einer präparierten Lampe wahrscheinlich einfacher. Auch die Innenräume hätte man anders bekommen, wenn man nicht diese Effekte wie die Projektion des Fensterkreuzes gemacht hätte. Es wäre eine andere Art der Authentizität geworden, die mehr mit dem zu tun gehabt hätte, was die Inszenierung, die Ausstattung, die Kostümabteilung und die Maske gemacht haben. Die Kamera war für mich der absolute Bruch in dem Film. Ich glaube nicht, dass es der Qualität des Films geholfen hat.

Das Interview führte Achim Dunker

  1. Kadrierung (oder Kadrage) ist das Festlegen der Position eines Objekts innerhalb eines Bildrahmens. ↩︎
  2. Mastershot-Technik bedeutet, dass die Szene einmal ganz durchgespielt und als Totale aufgenommen wird, die Großaufnahmen anschließend gedreht und später an entsprechender Stelle hineinmontiert werden. ↩︎
  3. Gerald Millerson: Technique of Lighting for Television and Motion Pictures. London, Boston 1982. ↩︎
  4. Gemeint ist hier die Episode Leben ohne Zoe von Francis Ford Coppola aus den New Yorker Geschichten (1989). ↩︎
  5. Dadurch wird die Empfindlichkeit des Films gesteigert. ↩︎
  6. Messgerät, das das Bildsignal anzeigt. ↩︎
  7. Der Name der Rose wurde inszeniert von Jean-Jacques Annaud. Kameramann war Tonino Delli Colli. ↩︎

Die chinesische Sonne scheint immer von unten

32,00 

Materialien Videos Achim Dunker hat für sein Buch Die chinesische Sonne scheint immer von unten umfangreiches Anschauungsmaterial erarbeitet. Die Verweise finden sich an entsprechender Stelle im Buch. Sie sind mit…

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