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Weltbezüge als Inhalt und Wirkung von Kommunikation: Ein neues (?) Paradigma? Ein Vortrag

Dr. Christoph Kuhlmann zu Gast bei den Kölner Mediengesprächen:

Die Kommunikationswissenschaft hat ihren Bezug zur Realität verloren, sagt Dr. Christoph Kuhlmann. Eine Lösung dafür kann das von ihm geschaffene Weltbezugsmodell bieten. Aber der Reihe nach.

Der Realitätsverlust der Kommunikationswissenschaft wird einerseits deutlich, wenn man sich gängige Themenkodierungen anschaut, die Christoph Kuhlmann einer Metaanalyse unterzog. Zum Beispiel bei Udo Michael Krüger:

Politik/Wirtschaft/Zeitgeschichte
Gesellschaft/Justiz/Soziales
Kultur/Wissenschaft/Religion
Umwelt/Natur
Alltag/Beziehungen/Freizeit
Human Interest/Prominenz/Showbiz
Unfall/Katastrophe
Kriminalität
Sport
Wetter
Sonstiges

Gehört ein Dopingfall in die Kategorie Sport oder doch zu Kriminalität? Wenn Angela Merkel sich beim Skifahren ein Bein bricht, ist das Sport, Politik oder Unfall? Hier zeigt sich das Problem: Manche Ereignisse sind schwer zuzuordnen und verwischen die Genauigkeit der Ergebnisse der Medieninhaltsanalyse.
Was hier fehlt, ist eine theoretische Analyse der Dimensionen von Themen.

Andererseits zeigt sich das Problem des Faches mit der Realität, wenn man sich Kommunikationsmodelle anschaut.
Kommunikation hat immer einen Gegenstand. In früheren Modellen wurde dieser in Form von Themen von x bis unendlich berücksichtigt um darzustellen, auf was in der Welt sich der Kommunikator bezieht (so bei Westley/McLean).

In Kuhlmanns Weltbezugsmodell wird berücksichtigt, dass wir nicht aufhören können wahrzunehmen und uns auf die Welt zu beziehen. Mit allem was wir wahrnehmen, tun, denken, fühlen, wissen und uns vorstellen, wie wir bewerten und uns verhalten, beziehen wir uns auf die Welt (und auf uns selbst). Interessant wird Kommunikation aber erst, wenn ein zweites Individuum hinzukommt. Andere Akteure sind ebenfalls Teile der Welt und wir kommunizieren mit ihnen, indem wir unsere Weltbezüge teilen.
Ein weiterer Akteur sind auch “die Medien”. Aber die Kommunikation über Massenmedien ist eine Art der Kommunikation mit besonderen Bedingungen: Massenmedien ermöglichen es, sich auf ferne und auch auf fiktive Welten zu beziehen, aber zu dem Preis, dass nur wenige Bezüge auf diese Welt möglich sind: Wir können die Queen im Fernsehen sehen, aber nicht mit ihr sprechen und auch nicht in Bezug auf sie handeln. Ein gegenseitiges Aufeinanderbeziehen ist in der Massenkommunikation unmöglich.

Aus Christoph Kuhlmanns Weltbezugsmodell ergeben sich folgende Thesen, die einen Ansatz zur Analyse aller Stufen des Kommunikationsprozesses bieten:

1.    Die menschliche Existenz lässt sich (fast) vollständig durch Weltbezüge beschreiben.
2.    Die Ziele von Kommunikationsteilnehmern sind eigene und/oder fremde Weltbezüge.
3.    Der Inhalt von Kommunikation sind eigene und/oder fremde Weltbezüge.
4.    Die Wirkungen von Kommunikation sind eigene und/oder fremde Weltbezüge.

Eine Anwendung findet sich im Agenda Setting: Welche Weltbezüge betonen die Medien, wenn sie ein Thema umfangreich behandeln, und welche Weltbezüge finden Rezipienten wichtig, wenn sie in Thema für wichtig erklären?

Eine andere Anwendung: Mediatisierung. Aus Kuhlmanns Perspektive bedeutet sie, dass sich Kommunikation immer mehr auf Kommunikation (und auf Kommunikation über Kommunikation etc.) bezieht und immer weniger auf Handeln oder gar auf die Welt und ihre Probleme selbst.
Schließlich: Mediennutzung. Fernsehzuschauer gehen nicht nur während dem Fernsehkonsum anderen Tätigkeiten nach (beziehen sich also nebenbei handelnd auf die Welt), sondern es geschehen parallel auch emotionale und kognitive Bezüge auf die Welt jenseits des Bildschirms. Vielleicht muss man sich den Bildschirm oft weniger als Fenster zur Welt vorstellen, sondern wie ein Lagerfeuer, in das man schauen kann und sich zugleich in vielfältiger Weise auf andere Ausschnitte der Welt beziehen kann.