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Wenn der japanische Kaiser auf Kumamon und Pikachu trifft…

Anlässlich des Erscheinens seiner Dissertation "Im Reich der Figuren" sprach unser Autor Lukas R.A. Wilde über japanische Figuren-Theorie und die "Mangaisierung" des Alltags.

Jeder kennt wohl die berühmte Figur “Hello Kitty”. In Deutschland ist die anthropomorphe Katze ein beliebtes Label, die Figur ziert Kleidung, Schreibwaren, Bettwäsche, Taschen und sonstige Accessoires. In Japan, ihrem Herkunftsland, haben Hello Kitty und vergleichbare Figuren sogar einen noch viel höheren Stellenwert; sie erfüllen z.T. sogar öffentlichkeitswirksame Funktionen. Das gilt etwa für Kumamon, das Maskottchen der Präfektur Kumamoto. Die schwarze, bärenartige Figur ist auf Schildern und amtlichen Mitteilungen präsent und sogar bei offiziellen Anlässen zugegen – dank eines verkleideten Darstellers im Ganzkörper-Kostüm. Kumamon ist zuweilen sogar bei Auftritten des Kaisers anwesend und wird von diesem wie selbstverständlich als Repräsentant der Präfektur Kumamoto begrüßt. Manga- und Anime-Figuren und Wesen in ähnlicher Ästhetik sind für den japanischen Alltag so relevant, dass sich eine wissenschaftliche Analyse des Phänomens lohnt. Diese hat Lukas R.A. Wilde in seiner jüngst im Herbert von Halem Verlag erschienenen Dissertation Im Reich der Figuren mittels der japanischen Figuren-Theorie unternommen und unseren Gästen bei den Kölner Mediengesprächen am 24. April erläutert.

Die Kernbegriffe des Buches sind “kyara” und, davon unterschieden, “kyarakutā” (Figur). Der Begriff “kyara” ist zunächst nicht ohne Weiteres zu verstehen. Es handelt sich dabei um nicht-kontextualisierte Figuren-Grundtypen, die erst durch ihre spätere Kontextualisierung zu “Figuren” (kyarakutā) im eigentlichen Sinne werden können. Ähnlich wie ein Schauspieler, der immer verschiedene Rollen spielt, kann ein “kyara” in immer verschiedene, wandelbare und gänzlich widersprüchliche Kontexte eingebunden werden und wird so erst zur “Figur”. Bezogen auf Kumamon könnte man sagen, sein “kyara” ist die Grundform des schwarzen Bären mit den roten Wangen. Zum “kyaraktutā” wird Kumamon hingegen dann, wenn z.B. wie oben beschrieben ein Darsteller ein entsprechendes Kostüm anzieht und darin den Kaiser begrüßt. Der “kyara” Kumamon wird in einen Kontext (“Kumamon begrüßt den Kaiser”) eingebettet, und wird dadurch zeitweise zur Figur.

Diese Kategorisierung ist indes nicht nur für Japan relevant, denn auch im Westen lassen sich ganz ähnliche Phänomene beobachten. Lukas Wilde führt als Beispiel die Disney-Ikone Mickey Mouse an (passenderweise, da der “kyaraktutā”-Begriff erst durch japanische Disney-Lizenznehmer geprägt wurde): In Disneys Zeichentrickfilmen tritt Mickey in verschiedenen Variationen auf, zum Beispiel als Dampferkapitän oder als Zauberlehrling. Man kann kaum behaupten, der Dampferkapitän Mickey und der Zauberlehrling Mickey seien “dieselbe Figur”, da sie doch in zwei ganz verschiedenen Handlungskontexten auftauchen. Viel naheliegender wäre es, mit der japanischen Figuren-Theorie zu sagen, dass der “kyara” Mickey Mouse in zwei verschiedenen “kyarakutā” (Dampferkapitän und Zauberlehrling) realisiert wird.

Im Anschluss an seinen erhellenden Vortrag beantwortete Lukas Wilde souverän und kundig die zahlreichen Fragen, zu denen seine Ausführungen unser Publikum angeregt hatten. Wir bedanken uns bei Herrn Wilde für den spannenden und informativen Abend!