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Was ist “europäisch”?

Dr. Julia Lönnendonker spricht anlässlich des Erscheinens ihres Buches "Konstruktionen europäischer Identitäten" am 25.1.2018 bei den Kölner Mediengesprächen über ihre Forschungsergebnisse.

In Zeiten des “Brexit” und des zunehmenden Einflussgewinns nationalistischer politischer Parteien  scheint die ideale Zeit – wenn nicht gar die Notwendigkeit – gekommen, sich wissenschaftlich mit dem Thema der europäischen Identität(en) auseinanderzusetzen. Genau das tut Dr. Julia Lönnendonker in ihrem neu erschienenen Buch “Konstruktionen Europäischer Identitäten”.Identität, so Lönnendonker, wird zumeist in Abgrenzung gegen ein “Anderes” konstituiert. Ein solches “Anderes” ist für Europa seit langem die Türkei, was sich in den inzwischen fast 60 Jahre andauernden EU-Beitrittsverhandlungen mit der Türkei und der heute mehr denn je kontroversen Debatte darüber widerspiegelt.

Den größten Beitrag zur Identitätsstiftung, so Lönnendonker weiter, leistet der öffentliche Diskurs, der seine Repräsentation in der Berichterstattung der Medien findet. Von diesen beiden Grundgedanken – der Abgrenzung gegen das Andere als identitätsstiftendes Merkmal und der Verbindung von öffentlichem Diskurs und Identität – ausgehend, hat Julia Lönnendonker die Berichterstattung deutscher Medien zum EU-Beitritt der Türkei im Zeitraum von 1959 und 2004 historisch-vergleichend wissenssoziologisch analysiert. Dabei betrachtet sie sowohl die Makro-Ebene der Berichterstattung (Wie positionieren sich die untersuchten Medien im Untersuchungszeitraum zum Türkei-Beitritt? Was wird als europäische Identität postuliert?) als auch eine Mikro-Ebene (Welche Metaphorik dominiert die Berichterstattung?).Lönnendonker arbeitet mehrere Möglichkeiten heraus, die Identität Europas zu definieren. Je nachdem, welche Definition verwendet wird, lassen sich Argumente für oder gegen einen EU-Beitritt der Türkei formulieren. Ein Beispiel: Wer Europa primär als Wirtschaftsgemeinschaft begreift, wird die Türkei vermutlich als EU-Mitglied und damit wirtschaftlichen Partner in Betracht ziehen können. Diese Sicht war nach Lönnendonker im Untersuchungsjahr 1959 vorherrschend. Dementsprechend ist die Berichterstattung über den möglichen EU-Beitritt der Türkei aus dieser Zeit fast durchweg positiv, es werden meist die Metapher des EU-“Clubs”, dem die Türkei beitreten könnte, und die Idee der Türkei als “Partner” aufgegriffen.

Im Laufe der Jahre gewann die Idee von Europa als einer Wertegemeinschaftimmer mehr an Bedeutung. Hierbei spielen politische Werte, wie Meinungs- und Pressefreiheit, Demokratie und Minderheitenschutz, aber auch kulturhistorische, primär christliche Werte eine Rolle. Je stärker Europa als Wertegemeinschaft begriffen wird, desto schwieriger ist ein EU-Beitritt der Türkei vorstellbar, insbesondere, da die Türkei unter Präsident Erdoğan sich nicht nur immer stärker in Richtung eines erzkonservativen, wenn nicht gar fundamentalistischen Islam entwickelt, sondern auch urdemokratische Werte wie Presse- und Meinungsfreiheit immer spürbarer missachtet werden. Lönnendonkers Untersuchungen bestätigen dies: Deutsche Medien positionieren sich im Verlauf des Untersuchungszeitraums immer stärker gegen einen Türkei-Eintritt in die EU, zum Ende des Untersuchungszeitraums, 2004, tauchen in der Medienberichterstattung kaum noch Befürworter eines Beitritts der Türkei auf.

Wir bedanken uns bei Julia Lönnendonker für ihren informativen Vortrag!