Skip to content Skip to footer

Interessiert sich noch jemand für Europa?

Rückblick auf den Vortrag von Dr. Christian Schwarzenegger

Wie der Betrunkene, der im Lichtkegel der Straßenlaterne nach dem an anderer Stelle in der Dunkelheit verloren gegangenen Schlüssel sucht, ist auch die Analyse der europäischen Öffentlichkeit geneigt, nur an bereits ausgeleuchteten Orten stattzufinden. Aufbauend auf Olivier Baisnées aufbereiteten Vergleich, untersucht Dr. Christian Schwarzenegger in seiner Dissertation Transnationale Lebenswelten: Europa als Kommunikationsraum die EU aus einer neuen Perspektive – der des Bürgers. Auch bei seinem Vortrag im Herbert von Halem Verlag, am 30. November 2016 im Rahmen der Kölner Mediengespräche, gelang es dem Kommunikationswissenschaftler anhand von Erfahrungen aus seiner eigenen Lebenswelt, seine wirklichkeitsnahe Perspektive anschaulich darzustellen und basierend darauf Europas Bedeutung für den Alltag neu zu beleuchten.

Aber was kann Europa, die EU oder auch nur die europäische Öffentlichkeit für den Alltag des Einzelnen bedeuten? Diese Frage stellte Dr. Christian Schwarzenegger auch bei seinem Vortrag und ging auf die Schwierigkeiten ein, die diese begleiten. Es ist eine von vielen Problematiken bei der Betrachtung dieser »Konzepte«, dass der Lichtkegel der Berichterstattungen und Analysen so groß wirkt, dass bereits alles abgedeckt scheint. Der Blick erfolgt meist nur von oben nach unten und der Bürger bleibt – sowohl in der politischen als auch in der kommunikationswissenschaftlichen Diskussion – in der Regel unerwähnt, fühlt sich unbeachtet und betrachtet Brüssel als fernes, abstraktes Symbol. Dies aber sind Forschungs- und Gedankenlücken, die Schwarzenegger in seinem Vortrag und seiner Publikation zu füllen wusste. Denn, wie auch in seinem eigenen Lebenslauf evident, überschreiten Menschen heute alltäglich national gezogene Grenzen. Entwicklungen in der Mobilität und Mediatisierung sind wichtige Faktoren, die dies in den letzten Jahren verstärkt ermöglicht haben. Anhand verschiedener in der Publikation festgehaltener Beobachtungen, wie unter anderem der These, dass Europa als Bezugsrahmen funktioniert und sich beständig weiter entwickelt, erläuterte Schwarzenegger, dass Europa für den Einzelnen eine große, wenn auch eine nicht sofort sichtbare Bedeutung inne hat. Begründet läge das in einem europäischen Catch 22: Keine Demokratie ohne Identität und Öffentlichkeit, aber auch keine Öffentlichkeit ohne Identität und Demokratie, sowie keine Identität ohne Demokratie und Öffentlichkeit.

Über die politische Auseinandersetzung mit dem Trilemma aus Demokratie, Identität und Öffentlichkeit geraten die gesellschaftliche Relevanz und auch die gesellschaftlichen Themen schnell aus dem Blickfeld. So warf Schwarzenegger beispielsweise auch die Frage auf, ob transeuropäische Medien funktionieren könnten. Wichtig ist ebenfalls die Tatsache, dass die europäische Identität durch gezielte Fragestellung bei Meinungsumfragen polarisiert wird und keine vergleichbaren Alternativen zur europäischen Identität – außer der nationalen – gegeben werden. Denn gerade diese Identität sei mit einem Marmorkuchen vergleichbar, dessen heller und dunkler Teig zwar visuell abgrenzbar ist, aber nicht voneinander zu trennen. Ähnlich verhalte es sich auch mit dem Alltag und Europa: Die Veränderung der Lebenswelten – ein von Schwarzenegger in seiner Publikation ausführlich diskutierter Begriff – habe in den letzten Jahren auch die einzelnen Identitäten untrennbar miteinander verwoben, sodass eine Aufsplittung oder ein Bewusstsein dafür, heute nur noch schwer möglich erscheint. Als Beispiel hierfür führt Schwarzenegger das Wechseln des Handynetzwerkes an – als einziges Symbol, dass überhaupt eine Grenze überquert worden ist.

Es gehe darum, erläuterte der Kommunikationswissenschaftler Schwarzenegger, dass die Idee »Europa« auch im Alltag bewusst anerkannt und nicht mehr als selbstverständlich hingenommen werde. Dazu gehört aber auch, dass die Grenzziehungen im Kopf aufgelöst und auch mehr Anlässe gegeben werden, transnational zu handeln.

Die im Vortrag ausführlich und anschaulich dargelegten Problematiken und Lösungsansätze heben hervor, dass ein offener Kommunikationsraum durch Mediatisierung, Kommunikation und Mobilität geformt wird – und Themen sind, die angesichts der großen Entwicklungen Europas 2015 und 2016 auch für jeden Einzelnen wichtig sein und bleiben sollten. Auch die anschließende Diskussion mit den Zuhörern zeigte, dass es noch viel zu sagen gibt zum Thema Lebenswelten, Öffentlichkeit und Grenzüberschreitungen in Europa.

 

Text: Jane Escher