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Die Schere im Kopf

Rückblick auf ein Podiumsgespräch mit Klaus Bednarz, Dietmar Schumann und Lutz Mükke, moderiert von Herbert von Halem

Ein großes Forschungsprojekt mit vielen Herausforderungen: Nach einiger Wartezeit kommt das neue Buch von Lutz Mükke in den Buchhandel. Aus diesem Anlass sprachen Klaus Bednarz, Dietmar Schumann und der Autor auf dem Verlagspodium mit Herbert von Halem über Korrespondenten im Kalten Krieg. Zwischen Propaganda und Selbstbehauptung.

Zu Beginn des Gesprächs wurden die Fragen formuliert: Wie sah der journalistische Arbeitsalltag unter den erschwerten Bedingungen des Kalten Krieges aus? Wie definieren sich die Begriffe “innere” und “äußere Pressefreiheit” und wie stand es um sie im Kalten Krieg, in Ost und West? Wie war der Kontakt zu den Journalisten der “anderen Seite”, dem Klassenfeind? Aber zunächst einmal: Wie ist es überhaupt zu diesem Projekt gekommen?

Kein alltägliches Projekt

Lutz Mükke erzählt von einem Interviewtermin mit einem Ostkorrespondenten 2005 in Melville. Das Interview lief seltsam. Die Antworten Plattitüden, hier und da eine Anekdote. Im Anschluss fühlte er sich über den Tisch gezogen und wunderte sich, warum der Befragte dieses Versteckspiel mit ihm gespielt hatte. Die Suche nach der Antwort führte ihn für fast ein Jahrzehnt in Archive, Behörden, Bibliotheken, Seminare, auf Veranstaltungen und ins Internet. Es folgten etwa 60 weitere Interviews und irgendwann kristallisierte sich das Thema seiner Recherchen heraus: Korrespondenten im Kalten Krieg.

Als Wissenschaftlicher Assistent arbeitete er auch mit den Studenten seiner Projektseminare, um das Thema weiter voran zu bringen. Viele der Interviews wurden von ihnen geführt. Eingeteilt in Arbeitsgruppen sollten sie möglichst jeweils einen Korrespondenten aus dem Osten und einen aus dem Westen, die zur gleichen Zeit für ein Gebiet zuständig waren, interviewen. Dabei hatten sie mit der Voreingenommenheit gegen unerfahrene Studenten zu kämpfen und mussten Enttäuschungen wegen kurzfristiger Absagen und im Nachhinein nicht autorisierter Gespräche hinnehmen. Die 17 veröffentlichten Interviews im Buch stellen nur einen Bruchteil des im Rahmen des Projektes gesammelten Materials dar.

Sozialisation als Journalist in Ost und West

“Das ist ein sehr wichtiges Buch”, so Dietmar Schumann. Korrespondenten aus Ost und West hätten sich zum ersten Mal ihre Biografien erzählt. Er selbst sei durch die Fragen in seine eigene Vergangenheit gereist, das läge ja alles auch schon 30 bis 40 Jahre zurück. Schon als Schüler zur Presse gekommen, schrieb er Artikel für diverse Jugendmagazine der DDR und konnte sich über eine Reihe von veröffentlichten Stücken freuen. Noch sehr jung war er damals, als er zum ersten Mal als Reisereporter in die Sowjetunion reisen durfte, und Russisch lernte er, “weil die Grenzen nach Osten offen waren”. Später studierte er an der Sektion für Journalistik an der Karl-Marx-Universität. Die Ausbildung beschreibt er als sehr solide, gerade die Methodik. Genres wurden mit Übungssystemen verinnerlicht, so konnte zu diesem Zweck ein professionelles TV-Studio genutzt werden. Generell war die technische Ausstattung sehr gut – die Videotechnik des DFF war zu dieser Zeit fortschrittlicher als die des Westfernsehens. Neben dem Talent wurde jedoch auch die “politische Festigkeit” geprüft.

Klaus Bednarz wurde ganz anders im Journalismus sozialisiert. Der promovierte Theaterwissenschaftler hatte keine Lust auf “verkrustete Strukturen” und meldete sich hauptsächlich auf Drängen einer Freundin in der Kulturredaktion des WDR. Der Redakteur sei ein feingeistiger Mensch gewesen und letztlich habe er “dank eines langen Gespräches über die Frauenfiguren bei Tschechow” einen Fuß in die Tür des WDR bekommen. Zwei Jahre sammelte er Erfahrungen als Redakteur bei WDR Kultur und bewarb sich während dieser Zeit um eine Korrespondentenstelle in Warschau. Der zu dieser Zeit stellvertretende Chefredakteur des WDR Fernsehens und Weltspiegel-Moderator Heinz Werner Hübner rief ihn an und lud ihn nach Köln ein. Der damalige Fernsehdirektor Peter Scholl-Latour formulierte mit: “Von mir aus” seine Einwilligung. Und so wurde es Bednarz’ entspanntestes Vorstellungsgespräch: “Sie sind es! Wie stellen Sie sich Ihre Arbeit vor?”

Korrespondenten in Moskau

Klaus Bednarz und Dietmar Schumann waren beide ab 1977 in Moskau. Ohne Genehmigung durfte die Stadt über die 40-Kilometer-Grenze hinaus allerdings nicht verlassen werden. Umgehen ließ sich diese Reglementierung zum Beispiel mithilfe russischer Freunde, in deren Privatwägen konnten die Kontrollen der Miliz meist problemlos passiert werden.

Klaus Bednarz © Herbert von Halem Verlag
Klaus Bednarz © Herbert von Halem Verlag

Neben Kritik an der Sowjetunion im Allgemeinen waren insbesondere das russische Militär und die Geheimdienste absolute Tabuthemen. Es gab jedoch noch andere Einschränkungen, die nicht immer ausformuliert wurden, aber immer präsent waren. So durften zum Beispiel Ostkorrespondenten keine zu positiven Bilder über Westlandschaften malen, um bei der eigenen Bevölkerung keine Sehnsüchte auszulösen. Auch durfte zum Teil nicht über Autobahnen berichtet werden, da sich die DDR keine leisten konnte. Ferner durften die Länder nicht kritisiert werden, die Erich Honecker in der nächsten Zeit besuchen wollte. Tabuliste einerseits und die politisch-ideologische Beeinflussung durch die Parteizentrale in Berlin führten bei Ostkorrespondenten zur “Schere im Kopf”, wie Dietmar Schumann erläuterte. Möglichst nur Erfolgsmeldungen über die Sowjetunion, den “großen Freund”, zu verbreiten, fiel ihm in dieser Zeit allerdings zunehmend schwerer.

Klaus Bednarz hatte auch noch andere Probleme: Die fünf vorhergehenden Jahre in Warschau hatten ihm sein Russisch “versaut”, er sprach es nun mit polnischem Akzent, den er auch nie wieder los werden sollte. Das würde ihm noch Probleme bringen, prophezeite ihm ein russischer Kollege – denn wesentlich beliebter war der preußische Akzent, mit dem sein Vorgänger Fritz Pleitgen russisch sprach.

Nichtbeachtung oder Kooperation?

Wie war das Miteinander von Ost- und Westkorrespondenten vor Ort? Vorurteile gab es auf beiden Seiten. Klaus Bednarz hatte zuweilen das Gefühl, er “stünde einer Betonmauer gegenüber”. Dietmar Schumann habe ihn eigentlich als Einziger gegrüßt. Trotz Anfragen fand kein Austausch von Materialien zwischen Ost- und Weststudios statt. Lutz Mükke meint dazu, Ostreporter hätten sich oft als intellektuelle Elite verstanden. Unglaublich viel Arbeit, sehr wenig Gehalt, aber eine politische Ideologie, mit der sie in den Klassenkampf zogen. Westreporter hingegen wurden weniger offensichtlich manipuliert, frei waren aber auch sie nicht davon. Kein politisches System auf der Welt würde komplett auf Medienkontrolle verzichten.

Innere und Äußere Pressefreiheit

Lutz Mükke erläutert den Begriff der inneren und äußeren Pressefreiheit. Während die äußere die Bewegungsfreiheit von Journalisten meint, beschreibt die innere Pressefreiheit den Freiraum, der Journalisten innerhalb der Redaktion gewährt wurde. Mit beiden stand es in der Sowjetunion nicht zum Besten. Klaus Bednarz erzählte dazu von Tatjana Welikanowa. Er sprach mit ihr über die Moskauer Helsinki-Gruppe, eine Abspaltung der Menschenrechtsorganisation Internationaler Helsinki-Verein. Im Interview gab sie empfindliche Details über den Zustand russischer Gefängnisse und einiger Gefangener preis, stimmte einer Weiterverwendung des Materials aber ausdrücklich zu: “Natürlich, dafür wart ihr doch hier – oder?” Zwei Tage, nachdem der Beitrag beim SFB lief, wurde Tatjana Welikanowa verhaftet und zu acht Jahren Zwangsarbeit verurteilt. Einer Begnadigung durch Gorbatschow widersprach sie, denn sie wollte rehabilitiert werden. So verbüßte sie die vollen acht Jahre: “Ich ziehe die Haft dem Schweigen vor.” Dietmar Schumann: “Es war beinahe unmöglich, wahrhaftige Berichterstattung aus der Sowjetunion zu liefern.”

Die Wende und neue Probleme für den Journalismus

Wie haben die Korrespondenten die Wende erlebt, wie die Aufarbeitung des Ostjournalismus? Dietmar Schumann war zu dieser Zeit in Budapest, erlebte die Wende aus ungarischer Sicht. In der SED gab es zwei Fraktionen, die Bewahrer und die Perestroika-Freunde. Er selbst wollte den Sozialismus, aber keine Parteioligarchie. Bis zum letzten Tag hat er beim DDR-Fernsehen gearbeitet, nach der Wende gelang ihm nahtlos der Wechsel zum ZDF. “Ich war immer offen damit.”

Dietmar Schumann © Herbert von Halem Verlag
Dietmar Schumann
© Herbert von Halem Verlag

Als drängendstes Problem des heutigen Auslandsjournalismus sieht er die Schnelligkeit des Internetzeitalters. Darunter leidet wie immer die Qualität und führt zu schlechteren Recherchen sowie einem Mangel an gut ausgebildeten Leuten, die sich auch tatsächlich vor Ort informieren und ihre Meldungen nicht über Presseagenturen beziehen. Klaus Bednarz ist der immer wiederkehrende Unkenruf zur Instrumentalisierung der Massenmedien zu pauschal. So sei er, trotz der streng eingehaltenen Parität bei den politischen Einstellungen der WDR-Mitarbeiter, in 40 Jahren nie nach seiner Parteizugehörigkeit gefragt worden. Abhängig macht er dies von der Führung: “Ist die interessiert an Politik oder Journalismus? Ein Chefredakteur muss stark sein.” Aber auch er kritisiert, dass mittlerweile Schnelligkeit vor Genauigkeit gehe. Dass 24-Stunden-Bereitschaftsdienste durchzustehen seien und dennoch nicht auf fundierte Infos gewartet werden könne. Stattdessen werde spekuliert, wenn der Programmchef Druck mache. Auch Dietmar Schumann kann den Beruf guten Gewissens nicht mehr empfehlen: “Zu wenig Geld, zu viel Druck.” Lutz Mükke merkt an, dass sogar die großen deutschen Blätter kaum noch Personal dafür abstellen würden. Da kann schon mal ein Auslandskorrespondent für ganz Russland und Osteuropa zuständig sein.

Für ein “grandioses Missverständnis” hält Klaus Bednarz die Akademisierung des Journalistenberufs. Ohne abgeschlossenes Studium sei heutzutage noch nicht mal mehr ein Volontariat möglich. So gingen viele Talente und frische Schreibstile verloren. Lutz Mükke findet, die erfahrenen Journalisten sollten ihre Popularität nutzen, um einen Umschwung anzustoßen. Über die Notwendigkeit sind sich alle einig.

Im Buch Korrespondenten im kalten Krieg. Zwischen Propaganda und Selbstbehauptung finden sich neben den Interviews mit Klaus Bednarz und Dietmar Schumann 15 weitere mit namhaften Ost- und Westkorrespondenten aus der Zeit des Kalten Krieges.