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Die fatale Stille
Die Geistes- und Sozialwissenschaften brauchen die Qualitätsmedien – aber setzen sich nicht ausreichend für sie ein. Ein Vorwort von Bernhard Pörksen
Es war ein Machtkampf, der klare Fronten kannte, Gut und Böse. Auf der einen Seite, der Seite des Geistes: die Verlegerwitwe Ulla Unseld-Berkéwicz, Schriftstellerin und Leiterin des Suhrkamp-Verlages. Auf der anderen Seite, der Seite des Geldes: Suhrkamp-Miteigentümer Hans Barlach, der ihre Ablösung wollte. Und irgendwo zwischen diesen beiden Fronten dann die plötzlich bedrängt und bedroht wirkende Lebenswelt der Autoren und Schriftsteller des Verlages, die sich mit der Seite des Geistes solidarisierten. Hans Magnus Enzensberger drohte in der Schlüsselphase der Streitigkeiten mit seinem Weggang, sollte Hans Barlach zum Geschäftsführer werden, Alexander Kluge und viele andere ergriffen Partei; Peter Handke bot 100.000 Euro an und appellierte an die Solidarität der Leser, auch Geld zu geben, damit der »böse Mann« wieder verschwinden würde. Hier hat, so muss man konstatieren, die Ad-hoc-Mobilisierung der Intellektuellen zum Schutz des kulturellen Kapitals funktioniert. Der Ausgang des Machtkampfes wurde im Dezember 2014 höchstrichterlich bzw. durch das Bundesverfassungsgericht entschieden – Suhrkamp wurde zu einer Aktiengesellschaft, was die weitgehende Entmachtung des Minderheitengesellschafters Hans Barlach ermöglichte, seine Kontrahentin Ulla Unseld-Berkéwicz gab den Wechsel in den Aufsichtsrat des Verlages bekannt, die Unternehmerfamilie Ströher kam als Neu-Aktionär hinzu und ließ nicht den geringsten Zweifel daran, dass man sich in diesem Zwei-Fronten-Kampf im Zweifel klar auf der Seite des Geistes positionieren würde. Was war, was ist die zentrale Botschaft der Suhrkamp-Soap, die über Jahre hinweg das Feuilleton der Republik elektrisierte? Die Antwort lautet: Es gibt irgendwo da draußen im intellektuellen Universum eine publizistische Plattform, ein auratisches Zentrum des Denkens und Schreibens, für dessen Erhalt es sich zu kämpfen lohnt.
Wie anders ist hingegen die Situation, wenn man sich die Wortmeldungen zur Krise der Qualitätszeitungen vergegenwärtigt. Hier schreiben und debattieren Journalisten wesentlich über sich selbst, begleitet von den Hohn- und Spottgesängen einzelner Social-Media-Berater, für die das Medium als ewig gestrig gilt. Hier stößt man auf einen modernisierungshungrigen Opportunismus, der das gesamte Gewerbe (»Print ist tot«) leichtfertig verloren gibt und entdeckt Prognostiker und Propheten, die sich mit exakten Todesdaten zum Ableben der Zeitung wichtig machen – ein nekrophiles Hobby eigener Art, wissenschaftlich vollkommen unseriös, aber medial ziemlich erfolgreich. Natürlich, so muss man gleich hinzufügen, gibt es eine schleichende, primär ökonomisch begründete Krise des Gedruckten. Es ist alles andere als klar, wie das klassische Geschäftsmodell des Print- und Qualitätsjournalismus zukünftig aussehen wird. Weil lukrative Werbeetats in Richtung der Digital-Monopolisten umgeschichtet werden und ganze Anzeigenmärkte ins Netz abwandern, die sich nicht mehr zurückgewinnen lassen. Weil Konjunkturzyklen in der neuen Situation in brutaler Unmittelbarkeit auf die Erlöse durchschlagen und mancher Verleger Rücklagen leichtfertig verpulvert hat oder seine Redaktion mit übertriebenen Renditeerwartungen, die aus einer anderen Epoche stammen, kaputt spart. Weil die Leser älter werden und irgendwann wegsterben und das Netz für viele zur primären (und weitgehend kostenlosen) Informationsquelle wird. Weil die Auswertung von Klickzahlen im Online-Sektor eine weitere Welle der Boulevardisierung forciert, bekommt man doch hier in einer kalten, klaren Währung geliefert, was die große Zahl wirklich interessiert. Und weil, ganz grundsätzlich gesprochen, die endgültige Antwort auf die 1-Million-Euro-Frage der professionellen Publizistik noch immer nicht wirklich gefunden ist, die da heißt: Wie lässt sich Qualität refinanzieren? Wie schafft man einen Ausgleich zwischen ökonomischem Erfolg und publizistischen Idealen? Wie löst man die Spannung zwischen ökonomischem Kalkül und Sozialverantwortung, die den erst in der Mitte des 19. Jahrhunderts entstandenen redaktionellen Journalismus seit Anbeginn regiert, aber die sich nun entscheidend verschärft? Und was macht das eigene Medium unverwechselbar, wenn die exklusive Nachricht im Moment ihres Erscheinens längst auf Tablets und Smartphones gelesen wurde?
Es gilt, auch dies gehört zu einer einigermaßen umfassenden Situationsskizze, sich klar zu machen, dass eine Zeitung, die in den Sog der Digitalisierung gerät und damit in einen »neuen Aggregatzustand« (so der Schriftsteller Peter Glaser) überführt wird, nicht mehr als Materialbündel taugt, weil herkömmliche, traditionelle Materialverbindungen blitzschnell aufgesprengt werden können und auf einmal alles teilbar, kombinierbar, transferierbar wird. Eine solche, einmal digitalisierte Zeitung stellt dann kein festes, ein für allemal geschnürtes Paket dar, das man einfach am Morgen, kurz bevor es hell wird und der Tag kommt, über den Frühstückstischen der Republik abwerfen kann, sondern die Zeitung im Netz verwandelt sich in ein individuelles Kombinationsprodukt – aus Empfehlungen, privat-persönlichen Interessen, Einzel-Artikeln, Kultur-Atomen, wie Peter Glaser sagen würde. Diese Möglichkeit zur rasanten Entbündelung und permanenten Transformation ist natürlich eine grandios gute Nachricht für Leserinnen und Leser, die sich ihre Privatzeitung und ihr ganz persönliches Artikelpaket zusammenstellen können. Aber sie stellt traditionelle Verlagshäuser, die ihr Angebot stets im Paket verkaufen müssen, doch vor ein Dilemma. Sie müssen sich fragen: Wie stärkt man in solchen Zeiten Bindekräfte und schafft kompakte Einzigartigkeit? Wie erzeugt man – ohne die Möglichkeit autoritärer Steuerung – die ökonomisch existenziell notwendige Aufmerksamkeit für das Gesamtprodukt? Wie schafft man in Zeiten der rasanten Atomisierung von Kulturinhalten zumindest noch ein Bündelgefühl für das eigene journalistische Angebot und die eigene Medienmarke?