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Die Einengung der digital vernetzten Welt
Ein Geleitwort von Sascha Lobo
Um komplexe Zusammenhänge zu vermitteln, hat sich der Mensch eine Reihe von Instrumenten ausgedacht. Nicht ohne Grund: Wissen zu sammeln, einzuordnen, zu teilen und so die Welt zu verstehen ist letztlich überlebenswichtig für die Zivilisation. Eines dieser Instrumente ist die Metapher.
Wenn man neue Strukturen zu erklären versucht, dann ist die Metapher zu Beginn eventuell das Beste, vielleicht auch das einzige Verfahren. Es ist nicht ganz auszuschließen, dass der Mensch die Veränderungen gar nicht fassen kann und deshalb zwanghaft nach Vergleichen und Ähnlichkeiten sucht. Hier leistet die Metapher gute Dienste. Mit Traubenzucker aber kann man zwar geschwind einen Hügel überwinden – aber kein Gebirge bezwingen; dazu braucht man länger verfügbare und auch mehr Energie, als sich überhaupt mit Traubenzucker aufnehmen lässt und auch noch ganz andere Nährstoffe. Ein völlig schiefes Bild? Exakt.
Und genau das ist das Problem: Die Metapher geleitet uns in eine Erklärung eines neuen Prozesses, einer neuen Welt hinein – und lässt uns dann allein, wenn wir das Neue noch besser verstehen wollen. Nichts ist mit etwas anderem vollständig vergleichbar und deshalb reicht die Metapher nicht aus, um die Welt zu erklären. Sie kann nur winzige Bruchstücke leichter fassbar machen.
Wir befinden uns am Eingang eines neuen Zeitalters, das mangels passender Begrifflichkeit hier einmal mit ›digital vernetzte Gesellschaft‹ umschrieben werden soll. Diese Veränderungen manifestieren sich vor allem in der Wahrnehmung, was Öffentlichkeit überhaupt bedeutet. Heute hat jeder ein Medienimperium in der Jackentasche, wir kennen die Welt nicht mehr nur aus den Massenmedien oder aus eigenem Erleben. Öffentlichkeit wurde vom Publikum seit ihrem Bestehen auf unterschiedlichste Weise wahrgenommen, aber inzwischen wird sie auch ebenso unterschiedlich produziert, aus Millionen von Quellen mit Millionen Absichten gespeist. Was das für die professionell produzierte Öffentlichkeit, den Journalismus, die Medien, bedeutet, befindet sich derzeit in einem Klärungsprozess, der sich als unangenehm veränderlicher Forschungsgegenstand im Sekundentakt verändert. Umso wichtiger wird es für eine funktionierende Erklärung der Vorgänge, das Internet aus der Google-Maps-Perspektive zu betrachten.
Die ersten Jahre der Veränderung haben wir hinter uns, das Netz ist bei den Menschen angekommen, hat seine sozialen Seiten herausgekehrt, Kommunikation, Geschäftsmodelle und gesellschaftliche Prozesse erobert. Das Internet ist jetzt da und es geht nicht mehr weg. Nun müssen die Menschen sich erklären, was das überhaupt bedeutet. In den ersten 15 Jahren des Internets ist das vornehmlich mit Metaphern passiert. Das konnte man gut an der Sprache um das Internet herum erkennen: surfen, bookmarken, Maus und schon das Wort ›Netz‹ selbst.
Diese Worte müssen nicht abgeschafft werden – im Verständnis und bei der Erklärung des Internets aber müssen wir uns von der inneren Datenautobahn verabschieden. Dazu ist es auch deshalb an der Zeit, weil inzwischen Menschen erwachsen werden, für die das Internet nicht neu ist. Es war schon da, als sie sprechen und denken lernten. Dieser neuen Generation können wir als Erklärung der digitalen Welt nicht einen Haufen verbogener Metaphern aus dem letzten oder vorletzten Jahrhundert vorwerfen. Wir müssen ihnen – und uns – das Internet und seine Wirkung auf die Gesellschaft auf eine bessere Art erklären. Und da bietet sich eine andere Kulturtechnik an, wesentlich differenzierter als das Entlanghangeln an einer Metapher und die Einengung der digital vernetzten Welt auf veraltete Sprachbilder.
Es handelt sich um das wichtigste Verfahren der Erklärungskultur, um Frage und Antwort, um dialogische Interviews, in denen man sich einem Thema nähert, es umzingelt, sich die Zeit nimmt, um auch die komplexen Teile nicht auf eine eingängige Metapher einzudampfen. Denn ein Erklärungsansatz, der die Metapher nutzt und auswalzt und so auch immer ablenkende Elemente der Selbstrechtfertigung enthält, will verkürzen und vereinfachen – dahinter steht im Zweifel die Hoffnung, dass die Dinge einfach sein mögen.
Die Dinge sind aber nicht einfach, sondern komplex, kompliziert, vielschichtig, uneindeutig und verändern sich noch dazu ständig. Deshalb ist dieses Buch lesenswert, denn Gespräche, Diskussionen, Fragen und Antworten, Interviews sind notwendig, um der Materie gerecht zu werden. Einer Materie, dem Internet nämlich, die die Welt so schnell und so nachhaltig verändert hat wie – und genau hier fehlt ganz bewusst eine Metapher. Sie wissen weshalb.