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Serien sind das neue Fernsehen

Das Fernsehen verliert Zuschauer, die ins Internet und zu innovativen Serien aus den USA abwandern. Deutsche Soaps können amerikanischen Produktionen weder inhaltlich noch optisch ansatzweise das Wasser reichen – und lernen auch nichts daraus.

Mit dem Aufkommen der Daily Soaps im deutschen Vorabend-Fernsehen der 1990er-Jahre gab es für Serien feste tägliche Termine, zu denen sich die Fans vor dem Fernseher versammelten. Jeder Sender hatte gleich mehrere Soaps, die teilweise über Jahrzehnte liefen und lange Zeit eine sichere Quote garantierten. Inzwischen sind viele Serien wie der Marienhof eingestellt worden und immer wieder gibt es auch bei Dauerbrennern wie Gute Zeiten, Schlechte Zeiten Berichte über schwächelndes Interesse. Durch das Internet werden sicher auch viele Fans ihrer Soap treu bleiben, indem sie die Folgen statt zur Sendezeit im TV über Online-Mediatheken ansehen. Doch es bleibt das Problem: Soaps sind eine ständige Wiederholung bekannter und bewährter Konzepte. Sind sich zwei Charaktere spinnefeind, kann man davon ausgehen, dass sie im Verlauf von einigen Wochen zu einem Liebespaar werden. Ständiges Rekapitulieren der Ereignisse hilft den Zuschauern, die zwei Wochen im Urlaub waren, jederzeit wieder in das Geschehen zurückzufinden. Regelmäßig tauchen neue Figuren auf, die dann unbekannte Geschwister, uneheliche Kinder, nie zuvor erwähnte Ex-Partner o.Ä. sind, um für diverse Verwicklungen zu sorgen. Neben dieser stetigen Wiederholung ist aber auch eine neue Art Serie in Erscheinung getreten, die kostengünstig gedrehte deutsche Daily Soaps noch mehr wie schlechtes Schülertheater wirken lässt.

In den USA werden Serien mit großem technischen und inhaltlichen Anspruch produziert, mit einem Aufwand, der vorher großen Kinoproduktionen vorbehalten war. Serien wie Lost, Die Sopranos oder Mad Men haben Maßstäbe gesetzt. Diese Serien haben gemeinsam, dass sie eine völlig andere Rezeptionsweise erfordern: Ein Nebenbei-Sehen ist für das Verständnis nicht ausreichend. Man muss sie konzentriert ansehen, ohne Werbeunterbrechung und manche Folge auch mehrfach: Voraussetzungen, die im Fernsehen kaum machbar sind. So sind diese Serien im deutschen Fernsehen auch kaum beachtet und gefördert worden: Die Sopranos z.B. liefen im TV am späten Sonntagabend, Mad Men im Spätprogramm eines Spartenkanals. Game of Thrones wurde bei RTL2 sogar in einem Marathon gezeigt, in dem man an einem Tag eine Staffel am Stück sehen konnte. So verlagern sich immer mehr Serien zum asynchronen Ansehen, über DVD oder Downloads bei legalen oder illegalen Anbietern. Das Finale von Breaking Bad hat es auch in diverse Kinos geschafft – die Serie läuft ansonsten ebenfalls nur versteckt im TV.

Interessant ist hier, dass neben der Rezeption und “Hast du schon gesehen?”-Gesprächen im Internet Unmengen an Informationen gesammelt und verbreitet werden, die Hintergrundwissen wie eine Wissenschaft zelebrieren. Bei der Mystery-Serie Lost z.B. wurden Screenshots vergrößert, die Namensgebung der Figuren analysiert und mit Bibelstellen verglichen, Karten der Standorte angelegt und insgesamt bis ins kleinste Detail analysiert. Es wurde u.a. ein Lost-Wiki eingerichtet, bei dem man sich über einzelne Episoden und Figuren und deren Werdegang informieren konnte. Bei Game of Thrones hilft z.B. diese Internsetseite, den Überblick über die riesige Zahl der Figuren, Allianzen und die Geografie zu behalten. Vorsicht: Die Informationen sind auf dem Stand des Endes der dritten Staffel.

Für solche kostspieligen Produktionen hat das deutsche Fernsehen aber auch kein Budget: Der Absatzmarkt ist im Vergleich zum amerikanischen verschwindend gering. Nur wenige deutsche Serien wie Derrick oder Die Schwarzwaldklinik haben es geschafft, auch über das deutschsprachige Ausland hinaus verkauft zu werden. So gibt es einfach keine Chance, vergleichbar aufwendig zu produzieren. Oftmals scheint allerdings auch der Mut zu fehlen, Neues zu produzieren: Dass Qualität auch hier entstehen kann, haben u.a. Im Angesicht des Verbrechens oder die Heimat-Trilogie gezeigt. Es wäre schön, wenn in Zukunft den Zuschauern etwas mehr Hirn zugetraut würde und auch das Fernsehen wieder etwas Innovatives zu bieten hätte.

Über die technischen Neuerungen und den globalisierten Medienmarkt verändern sich schließlich die Sehgewohnheiten der Zuschauer. Feste Sendezeiten sind nur noch für Live-Sendungen wie Fußball-Spiele oder Gameshows relevant. Fiktion ist zu jeder Zeit und an jedem Ort über nahezu jede Plattform verfügbar: Die Zukunft ist asynchron.

Vera Belowski, Lektorin im Herbert von Halem Verlag

Foto: Maret Hosemann  / pixelio.de