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Leistungsschutzrecht und die Kontrollfunktion der Wissenschaft

Ein Kommentar.

Am 22. März hat der Deutsche Bundesrat ein Leistungsschutzrecht für Presseverlage passieren lassen. Vorausgegangen waren dieser Entscheidung harsche Auseinandersetzungen um das Gesetz, welches die ökonomischen, rechtlichen, technischen und organisatorischen Leistungen von Presseverlagen in der Bereitstellung journalistischer Produkte schützen soll. Sowohl Befürworter und Gegner hatten mit ressourcenintensiven Strategien versucht, Politik und Öffentlichkeit von der Sinnhaftigkeit bzw. -losigkeit eines Leistungsschutzrechtes zu überzeugen. Ökonomen nennen solche Maßnahmen »rent-seeking« oder DUP-Aktivitäten – »directly unproductive profit seeking activities«.

Gesetz abgeschwächt – Demokratischer Prozess erfolgreich?

Das jetzt verabschiedete Gesetz ist stark abgeschwächt: »Kleinste Textpassagen« sollen auch weiterhin nicht von einem Leistungsschutzrecht berührt sein. Im Vergleich zu den Forderungen, mit denen die Presseverlage angetreten waren – nämlich, eine Verwertungsgesellschaft Presse/Online zu schaffen, die jede gewerbliche Nutzung von Presseprodukten in Deutschland lizenzieren sollte –, handelt es sich um eine deutliche Abschwächung. Selbst der Suchmaschinenanbieter Google, der die Regelung von Anfang an abgelehnt und bekämpft hatte, lässt ausrichten: »Das nach intensiver Debatte mehrfach geänderte Gesetz stellt das gesamte Konzept eines Leistungsschutzrechtes für Presseverlage grundsätzlich in Frage«.

Es mag kontraintuitiv erscheinen, aber mancher Ökonom wird die Auseinandersetzungen um das Leistungsschutzrecht daher als Ausdruck eines funktionierenden Demokratieprozesses deuten. Uwe Gerecke hat das einmal wie folgt erklärt: »Die DUP-Aktivitäten einer Sonderinteressengruppe können sich nämlich gegen die DUP-Aktivitäten einer anderen Sonderinteressengruppe richten und so das Ausmaß des Schadens, den die erste Gruppe verursacht, beschränken.« Offenbar ist genau dies im Gesetzgebungsprozess geschehen. Verschiedene Interessengruppen haben gegenteilige Ansichten eingebracht und die Formulierung des Leistungsschutzrechtes »zerrieben«. Der Ansatz, der auf Jagdish N. Bhagwati zurückgeht, erklärt das Ergebnis des Gesetzgebungsprozesses demnach angemessen.

Der blinde Fleck des Journalismus

Selbst  wenn man dieser neoklassischen Interpretation folgen mag – was viele der Kritiker nicht tun–, bleibt doch ein Beigeschmack. Einerseits wissen wir weiterhin nicht (vielleicht noch weniger als bei den vorhergegangen Referentenentwürfen), wie das Gesetz in der Praxis wirken wird – insbesondere im Hinblick auf den Journalismus. Andererseits – und das wiegt meines Erachtens ebenso schwer – hat die Politik ihre Entscheidungen offenbar nur auf diejenigen Interessengruppen gestützt, die wirtschaftlich bedeutsam sind. Wissenschaft und Zivilgesellschaft blieben außen vor. Wenngleich Juristen und Ökonomen vom Bundestag angehört wurden, ihre zahlreichen, oft detaillierten Anmerkungen hatten keinen direkten Einfluss auf den Gesetzestext. Dabei hätte diesen Kontrollinstanzen gerade im Falle des Leistungsschutzrechtes besondere Aufmerksamkeit zukommen müssen, da der Pressejournalismus hier einen blinden Fleck hat.

Wir debattieren über die Angemessenheit von DUP-Aktivitäten (und verurteilen sie vielleicht vor unseren Wertvorstellungen) auch und vor allem, weil sie vom Journalismus recherchiert oder präsentiert werden. Hiermit leisten Journalistinnen und Journalisten einen wesentlichen Beitrag, den wir nicht zu Unrecht mit der Funktion der ›Vierten Gewalt‹ umschreiben. In der Debatte um das Leistungsschutzrecht war dies – zumindest bis Sommer 2011 – nicht der Fall. Weder dem Wettbewerb zwischen den Medien (z.B. durch Medienjournalismus) noch den eigens geschaffenen Instanzen (z.B. Presserat) kam eine bedeutsame Kontroll- oder Korrektivfunktion zu. Auch der öffentlich-rechtliche Rundfunk hatte sich in seiner Bremer Erklärung ja für ein Leistungsschutzrecht für die Presseverlage ausgesprochen.

Die Kontrollfunktion der Wissenschaft

Diese Beobachtungen verwundern wenig, waren die Kontrolleure schließlich selbst eine Interessengruppe. Das wirft die alte Frage auf: »Sed quis custodiet ipsos custodes?« – Wer kontrolliert eigentlich die Kontrolleure?

Will man hierauf eine Antwort geben, ohne in einen unendlichen Regress zu geraten – also ohne immer mehr Kontrollinstanzen für Kontrollinstanzen für Kontrollinstanzen… ad infinitum zu schaffen – kann man eine wechselseitige Kontrolle der gesellschaftlichen Systeme vorschlagen. Dann aber ist es auch die Aufgabe der Wissenschaft die Funktion zu übernehmen, Unternehmen auf die Finger zu schauen. Schon Adam Smith hatte ja dafür plädiert:

»Jedem Vorschlag zu einem neuen Gesetz oder einer neuen Regelung über den Handel, der von ihnen [den Kaufleuten] kommt, sollte man immer mit großer Vorsicht begegnen. Man sollte ihn auch niemals übernehmen, ohne ihn vorher gründlich und sorgfältig, ja sogar misstrauisch und argwöhnisch geprüft zu haben, denn er stammt von einer Gruppe von Menschen, deren Interesse niemals dem öffentlichen Wohl genau entspricht und die in der Regel viel mehr daran interessiert sind, die Allgemeinheit zu täuschen, ja sogar zu missbrauchen.« (Adam Smith, Der Wohlstand der Nationen, München 1988, S. 213)

Unsere Gesellschaft leistet sich unabhängige Wissenschaft nicht um ihrer selbst willen. Wissenschaft soll und muss ihren gesellschaftsrelevanten Beitrag erfüllen. Mithin den Beitrag der »misstrauischen« und »argwöhnischen« Prüfung, wie ihn Adam Smith vorschlug. In der Debatte um das Leistungsschutzrecht hat sie diese Funktion meines Erachtens erfüllt. Es wäre an der Politik gewesen, ihr zuzuhören.

Christopher Buschow, Hannover