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Wie hat sie es mit der Religion?

Die Gretchenfrage der Islamberichterstattung

Die Angst vor dem ›Islamischen Staat‹, die Debatte über syrische Bürgerkriegsflüchtlinge, die Eskalation der Gewalt im Jemen – Krisen, Krieg und Katastrophen dominieren auch im Herbst 2015 die Berichterstattung über das Zentrum der islamischen Welt, Nordafrika sowie den Mittleren und Nahen Osten. Also alles wie immer in der deutschen Islamberichterstattung?

Eher könnte man sagen: Es wird immer schlimmer. Waren die Ereignisse der ›Arabischen Revolution‹ nicht nur explizit mit der Hoffnung auf Frieden, vielleicht sogar auf Rechtsstaatlichkeit und Demokratie im westlichen Sinne, sondern auch mit vorsichtigem Optimismus mit Blick auf eine ausgeglichenere, weniger negativ geprägte Berichterstattung über diese traditionell politisch unruhige Region verbunden, so ist dieses Wunschdenken längst wieder in alten Pessimismus umgeschlagen. Stellvertretend liest sich auch heute noch, was FAZ-Herausgeber Günther Nonnenmacher am 24. Februar 2012 unter dem Eindruck der post-revolutionären Gewalt in der Frankfurter Allgemeinen Zeitung schrieb:

»Es gehört zu den Paradoxien der Arabellion, dass der Aufstand gegen jahrzehntealte Diktaturen – zuerst in Tunesien, dann in Ägypten und Libyen, nun in Syrien –, begonnen mit Parolen (›Freiheit‹) und Instrumenten (›Internet‹), die dem Westen verständlich, weil bekannt vorkamen, inzwischen in eher traditionalistische Bahnen gelenkt worden ist. (…) Für Völker, die, was Bildung und Entwicklung angeht, in einem vormodernen Zustand sind (oder gehalten wurden), ist die westliche Moderne fremd, der Sprung dorthin ist deshalb zu groß«

Meine als quantitative und qualitative Medieninhaltsanalyse angelegte Studie Ein Hauch von Jasmin, die Anfang des Jahres im Herbert von Halem Verlag publiziert wurde, kommt zu dem Ergebnis, dass die Arabische Revolution als zentrales Schlüsselereignis – wenn auch nicht als »Antithese zum 11. September«, wie es Gert Somsen noch 2011 formulierte – die Islamberichterstattung, die zuvor auf der Makroebene von den klassischen Charakteristika der Auslandsberichterstattung – Elite- und Politikzentrierung, Negativberichterstattung, Regionalismus etc. (vgl. Hafez 2002a) – und auf der Mikroebne von Stereotypen, Symbolen, Feindbildern sowie worst-case- und pars-pro-toto-Denken geprägt war (vgl. Schiffer 2004), zumindest teilweise normalisierte. Ein Jahr später verfallen die Medien jedoch überwiegend in alte Negativmuster, es finden sich zahlreiche Belege für eine »Islamophobie« (Hafez/Richter 2007: 46) deutscher Medien sowie für ein medial erzeugtes »Feindbild Islam« (Schiffer 2007a: 191 oder Ates 2006: 155) – falls man einer solchen, sicher drastischen Terminologie folgen möchte.

Würde man diese Studie für die aktuelle Islamberichterstattung wiederholen, läge mit Blick auf die jüngsten Ereignisse und deren mediale Aufbereitung die Hypothese nahe, dass sich das Islambild weiter verschlechtert hat. Gerade eine in früheren Untersuchungen oft kritisierte Vermischung religiöser und politischer Aspekte in der Berichterstattung – Medien gehen vielfach von einer untrennbaren Einheit von Politik und Religion im Islam aus und setzen den politischen Islam mit radikalem Fundamentalismus, Terrorismus und Extremismus gleich (vgl. Hafez 2009: 102) – bekommt vor dem Hintergrund des IS neue Nahrung. In dem Begriff vom ›Islamischen Staat‹ kulminieren diese beiden Dimensionen – das Religiöse (›Islam‹) und das Politische (›Staat‹) – in grotesker Perfektion. Aber kann man das der Berichterstattung, mithin den Journalisten vorwerfen?

Ein Charakteristikum der kommunikations- und medienwissenschaftlichen Forschung über die Islamberichterstattung, die ja überwiegend aus einer kritischen Perspektive von Defiziten und Missständen ausgeht, diese befundet und problematisiert, selten allerdings praktische, alltagstaugliche Lösungsansätze anbietet – ein Defizit, das mit dem geplanten Handbuch Islam des Mediendienstes Integration vielleicht abgebaut werden kann – ist ja ihre normative Implikation. Teilweise unterschwellig, teilweise offen schließen diese überwiegend deskriptiven Beiträge – und meine eigene Studie ist hier keine Ausnahme – mit einer kritischen Reflexion über mögliche ›Verbesserungen‹ der Islamberichterstattung und wie man ein positiveres Islambild in den Medien erreichen könnte – ohne zu erklären, warum das nötig, normativ richtig oder wenigstens gesellschaftlich wünschenswert wäre. Man mag einwenden, dass Islamberichterstattung, die ausgeglichen, neutral, unvoreingenommen und sich eines westlich geprägten Blickwinkels bewusst ist, die Akteure aller gesellschaftlichen Gruppen zu Wort kommen lässt und die sich nicht ausschließlich auf die negativen ›Ks‹ – Krisen, Krieg, Katastrophen – konzentriert, dazu beitragen könnte, interkulturelle Brücken zu schlagen – zumindest aber helfen würde, bestehende Verbindungen nicht zu beschädigen (die Konzepte eines Friedensjournalismus oder eines »dialogischen Journalismus‹ nach Kleinsteuber gehen in diese Richtung). Allerdings kann die Medienwirkungsforschung bislang kaum gesicherte Ergebnisse darüber liefern, wie ein bestimmtes Islambild auf Menschen wirkt, geschweige denn ob sich daraus bestimmte Handlungen ableiten lassen.

Vielmehr lässt sich auch eine harte, journalistisch-professionelle Perspektive auf die Islamberichterstattung einnehmen, aus der Journalisten über einen Gegenstand eben so berichten, wie sie diesen wahrnehmen: Und wenn die Mehrzahl der Journalisten die Ereignisse in der islamischen Welt als bedrohlich wahrnimmt, dann spiegelt sich das eben in der Berichterstattung über diese Länder. Es ist nicht die Aufgabe der Medien, negative Ereignisse und Entwicklungen weich zu zeichnen, sondern sie schonungslos abzubilden. Hier spitzt sich auch die zentrale, übergeordnete Frage der Islamberichterstattung weiter zu: Berichten Medien besonders kritisch über den Islam, muslimisch geprägte Länder, Akteure und damit verknüpfte Ereignisse, weil diese Kontexte tatsächlich überwiegend negativ geprägt sind und entsprechende Schreckensmeldung eben nur die schreckliche Wirklichkeit abbilden oder – was hier keinesfalls ausschließlich zu verstehen ist – trägt die negative Berichterstattung dazu bei, ein verzerrtes, von Vorurteilen und Feindbildern geprägtes Bild zu transportieren, das keine realistische Entsprechung in der islamischen Welt hat? Werden politische Ereignisse in Nordafrika, im Nahen und Mittleren Osten in der Berichtersterstattung medial so oft ›religionisiert‹, weil Differenzierungen nur schwer zu vermitteln sich oder weil diese Länder tatsächlich zu wenig säkularisiert sind, um hier strikt zu trennen?

Die Forschung über die Islamberichterstattung – sicher selbst ein hoch problematischer Begriff, da sich diese in der Regel auf die genannten Regionen beschränkt und dabei große Teile der muslimisch geprägten Gesellschaft, beispielsweise in Asien, ausklammert – hat auf diese Fragen bislang kaum zufriedenstellende Antworten gefunden. Ein Anfang wäre es aber, eine konsistente Definition zu entwickeln, die nicht nur trennscharf abgrenzt, sondern auch Widersprüche vermeidet: Denn wenn im Terminus »Islamberichterstattung« der Islam – und damit eine Religion – als zentrales Kriterium bereits enthalten ist, kann es kaum verwundern, dass die danach ausgewählten und untersuchten journalistischen Beiträge und Artikel eine hohe Verknüpfung mit religiösen Themen aufweisen – schließlich werden hier Untersuchungsgegenstand und Aufgreifkriterium begrifflich zusammengelegt und eine sich erst daraus ergebene Verquickung politisch-religiöser Bezüge anschließend kritisiert. Eine definitorische Trennung der übergeordneten Auslandsberichterstattung – beispielsweise in eine nach geografischen Merkmalen abgegrenzte Nordafrika- sowie Nah-Ost-Berichterstattung und eine nach religiösen Charakteristika identifizierte Islamberichterstattung – würde hier sicher helfen. Die ›Gretchenfrage‹ der Islamberichterstattung lautet daher – und damit liegt sie erstaunlich nah an ihrem literarischen Vorbild: Wie hat sie es mit der Religion?

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