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Medienweltatlas

Autor Roger Blum diskutiert auf dem Verlagspodium mit Barbara Thomaß und Gemma Pörzgen seinen Ansatz zum Vergleich der Mediensysteme der Welt.

Als emeritierter Professor für Kommunikations- und Medienwissenschaft, Journalist, ehemaliger Schweizer Abgeordneter und Präsident des Schweizer Presserates, um nur wenige Stationen seiner beruflichen Laufbahn zu nennen, ist Roger Blum ein erfahrener Medienexperte. Beginnend mit einer von ihm gehaltenen Vorlesung über das Schweizer Mediensystem, kann er mittlerweile auf mehrere Jahrzehnte Forschungsarbeit zum Thema Mediensysteme im Vergleich zurückblicken. Mit seinem Buch Lautsprecher und Widersprecher hat er nicht nur ein umfassendes Werk zur Typologisierung internationaler Mediensysteme geschaffen, er porträtiert darin auch 26 Länder und sortiert diese mit dem von ihm entwickelten pragmatischen Differenz-Ansatz in verschiedene Modelle ein: Das liberale, das Public-Service-, das Klientel-, das Schock-, das Patrioten- und das Kommando-Modell.

Mit Barbara Thomaß saß eine weitere Expertin der international vergleichenden Mediensystemforschung auf dem Podium. Als Professorin für Kommunikations- und Medienwissenschaft lehrt sie an der Ruhr-Universität Bochum. Um Studierenden die verschiedenen Mediensysteme nahe bringen zu können, verweise sie zunächst auf den Zusammenhang von Faktoren, die ein System gestalten. Das sind neben kulturellen auch ethische, ökonomische, rechtliche und technologische. Die Medienproduktion sei jedoch nicht mit Journalismus gleich zu setzen.

Von der journalistischen Warte aus betrachtete Gemma Pörzgen das Thema. Die ehemalige Südosteuropa-Korrespondentin arbeitet heute frei mit Schwerpunkt Osteuropa, Außenpolitik und Medien. Bis 2013 war sie Projektmanagerin für den Verein Uzbekistan Press Freedom Group. Usbekistan kategorisiert sie ein wie Nordkorea: das Land ist abgeschlossen, die Presse wird gelenkt. In einem System mit derart eingeschränkter Pressefreiheit mangelt es der Bevölkerung an Informationen, wie hoch der Brotpreis gestiegen sei und ob es Gas gibt.

Beide Diskutantinnen lobten Roger Blums Detailarbeit. Die Fülle an Wissen, mit der er seine Modelle erklärt und die Länder porträtiert habe, sei beeindruckend. Ein weiterer Vorteil sei auch der überwundene eurozentrische Blick auf die verschiedenen Länder. Für manchen sei es vielleicht überraschend, Brasilien in der Riege der liberalen Länder zu finden.

Problematisch seien neben der Zeit (seit Erscheinen es Buches bewirken die aktuellen Entwicklungen in Russland dessen Abkehr vom Schock- hin zum Patrioten-Modell) auch die von Blum genutzten Vergleichskriterien für die Entwicklung seines pragmatischen Differenz-Ansatzes. Gerade bei den nicht genutzten Kriterien seien Barbara Thomaß Zweifel gekommen. So wurde beispielsweise das Kriterium “Bildungsgrad” verworfen, da es laut Blum zu schwer zu operationalisieren gewesen sei. Nur weil ein Kriterium nicht in ein Modell passt, sei es laut Thomaß aber noch lange nicht unwichtig. Auch die Sprachsituation sei relevant: Eine gemeinsame Sprache zu haben, ist eine Stärke des arabischen Raums, aber mit vielen unterschiedlichen Sprachen zu leben, ist in Europa ebenfalls ein wichtiges Zeichen der eigenen Identität. Dafür hätte der Einfluss politischer und ökonomischer Faktoren weniger gewichtig sein können. Auch solle nicht übersehen werden, dass Mediensysteme nicht auf alle Länder gleich (abschreckend) wirken würden. Gemma Pörzgen berichtet dazu von afrikanischen und indischen Journalisten, die sich in China aus- und weiterbilden lassen. Das Vertrauen in die europäische und amerikanische Presse ist durch die starke Negativberichterstattung getrübt. China hingegen frage sich: Was läuft gut, was richtig?

Manche Kriterien waren für Blum ebenso einfach wie wirkungsvoll. So sei auch die Situation von Bloggern entscheidend gewesen. Dürfen sie sich frei äußern oder haben sie einen Gefängnisaufenthalt zu erwarten? Der Einfluss der Technik ist maßgeblich. Pörzgen führt an, dass sich in Russland 80-90% der Menschen über das Fernsehen informieren – dieses sei dort aber zum lügenden Propagandainstrument geworden. Und auch im Internet würden die Gefahren überwiegen. Ihrer Meinung nach wird in Verlagen zu wenig Geld investiert, um neue journalistische Umgangsweisen zu bilden.

Für Barbara Thomaß müssten es mehr als die vorhandenen sechs Kategorisierungsmodelle sein. Man benötige noch mehr Wissen, um komplexere Modelle ausbauen zu können, wobei für sie die technologischen Entwicklungen ebenfalls maßgeblich am Wandel der Mediensysteme beteiligt sind.

Immerwährende Einordnungskategorien für Mediensysteme lassen sich nicht generieren, zu stark sind diese äußeren Einflüssen ausgesetzt. Roger Blum ist mit Lautsprecher und Widersprecher ein beeindruckender Status Quo der Mediensysteme sowie von 23 Ländern und deren politischen Systemen gelungen – nicht nur für Forscher und Studierende, so Thomaß, sondern auch und gerade für Menschen, die gerne über ihren Tellerrand hinausblicken.