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“Es gab nie bessere Zeiten, um Journalist zu werden”

Diskussionsrunde zum Thema "Der Wert der Medien" auf der Frankfurter Buchmesse 2012

Welchen Wert haben Medien in einer freiheitlichen Gesellschaft? Zu diesem Thema diskutierten gestern die Autoren der neuen Lehrbuchreihe Journalismus Bibliothek Prof. Dr. Thomas Horky und Christian Meier sowie der Journalist Alexander von Streit mit Moderator Thomas Nettelmann im Forum Bildung der Frankfurter Buchmesse.

Es gibt zahlreiche Lehrbücher für angehende Journalisten. Sie orientieren sich an den einzelnen Medien, bieten als Handbücher Einführungen für Praxis und Wissenschaft und erklären journalistisches Handwerkszeug wie die Recherche oder das Führen eines Interviews. Die Journalismus Bibliothek behandelt – quer durch alle Mediengattungen und unter Berücksichtigung des rasanten Medienwandels – spezielle journalistische Tätigkeitsfelder wie „Medien“, „Lokales“ oder „Kultur“ und veranschaulicht diese in leicht verständlicher Sprache und anhand praktischer Beispiele. In jedem Band verknüpfen jeweils ein Journalist und ein Wissenschaftler gelebte Praxiserfahrungen mit fundiertem Theoriewissen. „Die Verzahnung von Theorie und Praxis war die Motivation die Reihe zu machen“, so Herausgeber Stephan Weichert im Vorwort zur Diskussion über den Wert der Medien. Die insgesamt zwölf Bände der Journalismus Bibliothek dokumentieren in zahlreichen Porträts, Interviews, Rechercheberichten, Kurzanalysen und Checklisten nicht nur den Status quo des journalistischen Berufsfeldes, sondern nehmen zugleich dessen künftige Entwicklung in den Blick.

Von links nach rechts: Christian Meier, Thomas Nettelmann, Alexander von Streit und Thomas Horky

„Der Wert der Medien ist durchaus doppeldeutig gemeint.“ Herausgeber Martin Welker eröffnet die Diskussion mit einer Anspielung auf die Vieldeutigkeit des Begriffs „Wert“. Er ist monetär zu definieren, moralisch, aber auch in seiner Rezeption zu betrachten. Hat alles nur noch einen Unterhaltungswert? Wo bleibt der Informationswert? Prof. Dr. Thomas Horky verdeutlicht die Doppeldeutigkeit: „Wenn ich mich unterhalten lassen möchte, dann hat das auch einen hohen Wert für mich.“ Es käme „darauf an, was ich als Rezipient daraus mache.“ Christian Meier merkt an: „Den Leser mit Unterhaltung bei der Stange zu halten, hat auch seinen Wert.“

Gerade die Frage nach der Wertigkeit speziell von Unterhaltung rief die Frage nach dem Wert der Medien im Zeitalter von Web 2.0 hervor. Thomas Nettelmann fragt: „Wird Twitter jetzt zur Pflicht? Und wo bleibt die Qualität?“ Welche Chancen hat ein Journalist im Web 2.0-Zeitalter, wie muss er agieren, welche Fähigkeiten braucht er und welche Hürden gilt es zu überwinden? Die neuen Medien und deren Funktionsweisen verlangen einen neuen, sicherlich auch umsichtigeren Umgang mit dem Geschäft der Nachrichtenverbreitung, bieten aber auch neue Freiheiten: „Der Journalist hat mehr Chancen, aber er muss auch mehr leisten“, so Thomas Horky. Christian Meier riet dazu, sich auf ein Medium zu spezialisieren: „Es wird auch in Zukunft darauf ankommen, dass Journalisten in einer Sache sattelfest sind.“

Ein weiterer wichtiger Aspekt des Web 2.0 sind fallende Barrieren: Jeder, der einen Internetzugang hat, kann heute zum Journalisten werden, der mit seinen Berichten wesentlich zur öffentlichen Meinungsbildung beiträgt. Eine geschützte Berufsbezeichnung existiert nicht. Einig waren sich die Diskutanten darüber, dass das journalistische Handwerk bewahrt werden muss. Christian Meier beurteilt die aktuelle Situation so: „Es gab noch nie so große Chancen Journalist zu werden wie heute. Aber die Hürde, langfristig vom Journalismus leben zu können, ist groß.“ Alexander von Streit betonte die Vorteile des journalistischen Ist-Zustandes: „Es kann jeder zum Publisher werden – da liegen die Möglichkeiten für junge Journalisten“ und auch Thomas Horky fordert gerade die Studenten auf: „Geht ins Internet, macht einen Blog!“

Es kann also praktisch jeder Journalist werden. Ist vor diesem Hintergrund denn eine Nachricht im Web 2.0 auch wirklich eine Nachricht? Die schnelle Verbreitung und größere Verfügbarkeit von Nachrichten haben den Journalismus verändert und verlangen eine genaue Prüfung – ob eine Information auch wirklich Nachrichtenwert hat, ist sehr wichtig. Auch das direkte Feedback durch den Rezipienten aufgrund der Kommentarfunktion, mit dem viel schneller auf Fehler aufmerksam gemacht werden kann, hat den Journalismus verändert: „Kommentarfunktionen bei Artikeln sind spannend, weil Geschichten auch weiter erzählt werden können,“ so Alexander von Streit, „Leser und Zuschauer sind ein mündiger Teil der Medienproduktion.“ Schon immer sei „Journalismus Selbstbeobachtung der Gesellschaft“ gewesen, sagt Thomas Horky dazu und fragt, wann das besser als jetzt gehe, in Zeiten des Web 2.0? Zusammengefasst ist es anstrengender geworden, sich zu informieren – das gilt für den Rezipienten, aber auch für den Journalisten. Thomas Horky: „Es ist anstrengender geworden, das zu finden, was man möchte, aber dann ist es leichter zugänglich.“ Und Christian Meier erinnert: „Man darf die Technik aber nicht mit dem Journalismus verwechseln – es ist ein Hilfsmittel oder Vertriebskanal.“

Brauchen wir den Journalismus denn noch im Web 2.0-Zeitalter? „Mehr denn je. Um mir zu sagen, das musst du lesen, das sollst du lesen“, meint Thomas Horky. Als Beispiel lässt sich der Einfluss von PR-Mitteilungen auf die Berichterstattung nennen. Christian Meier: „Es ist einfacher geworden, PR-Mitteilungen zu platzieren. Es wird viel zu wenig darüber geschrieben und diskutiert.“ und Thomas Horky erläutert: „Es gibt Studien, die das belegen. Deswegen brauchen wir Medienjournalismus.“ Thomas Nettelmann merkt an: „Diese Entwicklung ist aber auch einem ökonomischen Druck geschuldet.“

Warum also sollte man Journalist werden? Christian Meier setzt Berufung voraus: „Wenn man heiß darauf ist, gute Storys zu machen, sollte man Journalist werden. Leidenschaft muss man mitbringen.“ Ein nicht zu vernachlässigender Aspekt sei die Abwechslung, die der Beruf des Journalisten mit sich bringt, weiß Thomas Horky: „Die Wege und der Beruf sind vielfältig.“ Nach der Diskussion über eine Medienwelt, die sich im Umbruch befindet, den man derzeit so einfach mitgestalten kann, bringt Alexander von Streit ein punktgenaues Fazit: „Es gab nie bessere Zeiten, um Journalist zu werden.“

Der Gesprächsverlauf lässt sich auch bei Twitter noch einmal verfolgen: twitter.com/JBibliothek